Politik in 140 Zeichen

Wenn US-Präsident Barack Obama zwitschert, hört ihm die halbe Welt zu. In Deutschland läuft sich der Internetdienst „Twitter“ als politische Strategie gerade erst warm – ein Vorsprung durch Technik, die noch nicht alle begeistert.

von Marie K.

Er gilt als Pionier der politischen Twitter-Strategie. Barack Obama nutzte den Internetdienst bereits 2008 während seiner Wahlkampfkampagne und revolutionierte Twitter als Instrument der online Politik-Vermarktung. Mittlerweile abonnieren zwölf Millionen Menschen den Twitterverlauf des US-Präsidenten. Die meisten Tweets veröffentlichen seine Mitarbeiter unter seinem Namen. Gelegentlich findet sich eine Kurznachricht mit dem Kürzel „bo“ und markiert eine vom Präsidenten höchstpersönlich formulierte Botschaft.

Videonachweis: http://www.youtube.com/watch?v=5cuboYUaUCU, Zugriff 1.3.2012.

Getreu deutscher Manier, begegneten die Bundespolitiker dem Medium Twitter mit Skepsis. Als politisches Werkzeug hat es sich hierzulande noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Es ging ja auch ohne. Dennoch verlieren langsam einige ihre Berührungsängste. Der deutsche Regierungssprecher, Steffen Seibert, eröffnete sein Twitter-Konto nach Absprache mit der Kanzlerin im Februar 2011. Für „die Zeit“ zog er wenige Monate später eine erste Bilanz. Anfangs dachte Seibert er sei dem digitalen Zeitalter mit einem täglichen Tweet gewachsen. Einer interaktiven Diskussionskultur wollte er nicht nachgehen. Der Twitter-Gemeinde konnte er jedoch nicht lange trotzen. Obwohl es für Seibert in erster Linie nur eines von vielen Kommunikationskanälen darstellt, pflegt er mittlerweile sein Twitterkonto wie es gedacht ist: als Dialog- und Austauschplattform.

Der „RegSprecher“ antwortet inzwischen auf Fragen zu Veranstaltungsinformationen wie dem Integrationsgipfel genauso wie auf eine Anschuldigung eines deutsch-französischen Alleingangs. Auf letzteren Vorwurf twitterte Seibert auch ausführliche Gespräche mit den Regierungschefs anderer europäischen Länder – unter anderen Spanien, Italien, Portugal und Belgien – in letzter Zeit unternommen zu haben. Gemeint ist er nicht selbst. Schließlich twittert Seibert im Namen der Bundeskanzlerin, dessen Twitterauftritt sich auf Pseudoprofile beschränkt. Seibert bleibt vorerst Twitter-Chefredakteur der Bundesregierung. Nach einem Jahr verbucht der Regierungssprecher  knapp fünfzig Tausend persönliche Abonnenten, sogenannte „Follower“. Aus seinem ursprünglichem „Ein-Tweet-pro-Tag-Vorsatz“ sind mittlerweile mindestens drei tägliche Tweets geworden.

Seiberts Maß an Mitteilungsbedürfnis wirkt im Vergleich zur Twitter-Affinität von Marina Weisband lächerlich. Die scheidende Geschäftsführerin der Piratenpartei schreibt zwischen zehn und fünfzig Tweets am Tag. Darunter finden sich auch Statements, an denen kein politisches Motiv erkennbar ist. So fragte sie ihre 17 000 Follower ab welchem prozentualen Verhältnis zwischen Medikamenten und Frühstück es bedenklich werde. Selbst Parteimitgliedern ging diese öffentliche Entblößung zu weit. Im SPIEGEL-Interview erklärt Weisband ihren Twitterauftritt. Sie nutze das Medium bewusst auf unreflektierte Art, um Authentizität zu vermitteln. Weisband ist zum Gesicht der Piratenpartei avanciert; einer sehr jungen Partei, dessen Mitglieder mit dem Internet und all seinen Möglichkeiten aufgewachsen sind.

http://www.metacafe.com/watch/yt-1KUib8XZcNY/business_today_michael_spreng_ber_den_einfluss_sozialer_netzwerke_auf_die_politik/

Videonachweis: http://www.metacafe.com/watch/yt-1KUib8XZcNY/business_today_michael_spreng_ber_den_einfluss_sozialer_netzwerke_auf_die_politik/, Zugriff 1.3.2012.

Aber auch in der längst etablierten, traditionellen Unionsfraktion nutzt der Geschäftsführer den Internetdienst als politische Plattform. Peter Altmaier twittert zwar nur die Hälfte seiner Piratenkollegin, erregte jedoch mit einer 140-Zeichen-Botschaft zur Wulff-Affäre genauso viel Aufmerksamkeit. „Wünsche mir dass Christian seine Anwälte an die Leine legt und alle Fragen/Antworten ins Netz stellt.“ Im SPIEGEL-Interview erklärt Altmaier diesen Post als persönliche Ansicht und unterstreicht, dass es sich nicht um den allgemeinen Tenor innerhalb seiner Partei handle. Twitter kann jedem zum Verhängnis werden. Ein Tweet lässt sich nicht widerrufen und genau darin liegt der Charme dieser Kommunikation. Nicht nur Altmaier sieht darin einen qualitativen Gewinn durch inhaltliche Kontrolle. Eine falsche Sachbehauptung, etwa zur Arbeitslosenquote, kann binnen Sekunden widerlegt werden.

Auch die Zeichenbegrenzung steigert die Qualität der politischen Beiträge, indem sie vermeintliche Phrasenkultur minimiert. Twitter bietet umständlichen, abschweifenden Parteiparolen schlicht keinen Platz – eine erhebliche Einschränkung, besonders während eines Wahlkampfes. Die republikanischen Präsidentschaftsbewerber können dem Sprachrohr Twitter trotzdem nicht ausweichen. Es ist dank Barack Obama in den USA unentbehrlich geworden. Außerdem ist der Internetdienst nicht nur effektiv, sondern auch höchstökonomisch- nämlich umsonst. Daraus lässt sich auch erklären warum der finanziell schlechter ausgestattete Newt Gingrich, laut einer Analyse der Nachrichtenagentur AP, das Medium aktiver nutzt als sein Konkurrent Rick Perry, der wiederum seine Twitterschwäche durch teure Fernsehwerbung kompensiert. Dabei verschwendet er jedoch eine wertvolle Ressource von Öffentlichkeit. Obama instrumentalisiert den Internetdienst erfolgreich, indem er seine Anhänger durch Handlungsaufforderungen einbindet und somit eine Beziehung zu seinen Wählern aufbaut. Veranstaltungen werden zur Teilnahme angeboten; Feedback ist stets ausdrücklich erwünscht.

Der Twitter-Druchbruch lässt in der deutschen Politik noch auf sich warten. Die aufstrebende Piratenpartei setzt in Sachen Internetmarketing mittlerweile neue Maßstäbe, die sich jedoch auf das politisch Relevante beschränken sollten. Die Mehrheit der Politiker wird diese Zwitscher-Zukunftsmusik nicht überhören können. Schließlich sind wir eine Informationsgesellschaft, die weder Zeit noch Energie für eine Endlosschleife von politischen Worthülsen aufbringen möchte.

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