Sind wir schon viral gegangen?

Unternehmen stecken immer mehr Geld in virales Marketing: Unzählige Videos und Hashtags fluten das Netz und sollen in kürzester Zeit möglichst viel Reichweite generieren. Über die neue Form der Mund-zu-Mund-Propaganda. 

von Thomas Porwol 

https://www.youtube.com/watch?v=uQB7QRyF4p4, Zugriff 2.2.2015.

1Im November 2014 war Alex Lee noch ein ganz normaler Teenager, der bei der amerikanischen Supermarktkette „Target“ an der Kasse arbeitete. Dann wird der gut aussehende 16jährige heimlich von einer Kundin fotografiert – das Foto landet auf Twitter und geht um die Welt. Es wird tausende Male retweetet, geteilt und geliked. Innerhalb kürzester Zeit hatte Lee über 300 000 Twitter-Follower2 – inzwischen sind es über 700 000.3 „Alex from Target“ wurde zu einem viralen Phänomen: Wie ein Virus verbreitete sich das Bild von Alex Lee durch die sozialen Netzwerke und verzeichnete extremes Wachstum. Schaffen es Inhalte in so kurzer Zeit eine solche Reichweite zu entwickeln wie „Alex from Target“, spricht man von Viralität: Ein Phänomen, das längst auch Unternehmen und Marketingagenturen für sich entdeckt haben.

Und der Gedanke Werbeinhalte zu schaffen, die eine Reaktion hervorrufen wie „Alex from Target“, ist den Unternehmen viel Geld wert: Zwischen 2003 und 2008 stiegen die jährlichen Ausgaben amerikanischer Unternehmen für virales Marketing im Schnitt um 37,6%4. Denn eine erfolgreiche virale Kampagne bedeutet nicht nur eine ungemeine Steigerung der Reichweite, sondern verändert auch wie die Werbung vom Kunden wahrgenommen wird: Klassische Werbung, wie zum Beispiel im Fernsehen, wird von den Zuschauern als notwendiges Übel angesehen, die zwischen dem eigentlichen Programm geschaltet wird. Dagegen kann Werbung im Internet selbst zum Programm werden.

Diesen Umstand können sich Werbetreibende zu nutze machen, denn so kann Werbung zu einem Inhalt werden, der von den Konsumenten nicht nur aktiv gesucht, sondern auch an deren soziales Umfeld weitergegeben wird. Konsumenten werden so zu freiwilligen Markenbotschafter und jeder neue Markenbotschafter ist ein erneuter Multiplikator, der die Werbebotschaft weiter verbreitet. So gesehen ist virale Werbung sehr ähnlich einer der ältesten Werbeformen überhaupt: der Mund-zu-Mund-Propaganda. Durch das Internet gibt es eine immer größer werdende Informationsflut und die Menschen vertrauen auf persönliche Empfehlungen: Virale Kampagnen wollen diese Empfehlung sein.56

Eine virale Botschaft ist nicht zu stoppen

Die Entwicklung einer viralen Marketingkampagne ist für ein Unternehmen zu einem gewissen Grad ein Glücksspiel. Viralität ist etwas, das sich schwer planen lässt und ist die Botschaft erst einmal auf dem Weg, lässt sie sich kaum noch beeinflussen oder aufhalten. Das bedeutet auch: Erfolg ist nicht garantiert. Im Gegenteil: Eine virale Kampagne birgt für den Werbetreibenden immer auch ein Risiko. Sowohl ein finanzielles, denn man weiß erst nach Veröffentlichung, ob Viralität entsteht, als auch ein Risiko für das Image: Ein Botschaft kann auch negativ aufgefasst oder von der Internet-Community abgewandelt werden – aber dann ist sie bereits nicht mehr zu stoppen.7 Ein Beispiel dafür ist eine Twitter-Kampagne von McDonalds: Auf Twitter forderte die Fast-Food-Kette die User dazu auf unter dem Hashtag #McDStories ihre Geschichten zu McDonalds zu teilen. Aber anstatt positive Inhalte über den Fast-Food-Giganten zu erzählen, nutzen die Leute die Gelegenheit über McDonalds herzuziehen8:

Wie schwer planbar Viralität ist, zeigt auch ein Beispiel des diesjährigen Super Bowl: Während der Halbzeitshow trat die Sängerin Katy Perry auf und spielte mit Gastmusikern ein Medley ihrer Songs. Dabei sollten zwei Tänzer in Hai-Kostümen synchron neben Katy Perry tanzen – was direkt auffiel: Der linke Hai hatte die Choreografie nicht ganz verinnerlicht und wedelte wild mit seinen Flossen herum. Innerhalb kürzester Zeit verbreitete sich auf den sozialen Netzwerken das Meme „Left Shark“ und Seiten wie Buzzfeed griffen es auf.9 Virale Phänomene entwickeln sich also auch völlig ungeplant – ein Tänzer, der seine Choreografie nicht richtig gelernt hat, kann reichen. Das macht es so schwer gezielt Inhalte zu entwickeln, die viral gehen.

Die Halbwertszeit viraler Phänomene sinkt

Der Erfolg eines viralen Phänomens drückt sich in Zahlen wie die der Likes, Shares, Retweets, Favs oder Views aus – also in den messbaren Interaktionen mit dem Content. Je mehr desto besser. Und auch wenn es Content schafft viral zu gehen, stellt sich die Frage nach einem langfristigen Effekt. Durch die zunehmende Flut an Memes, Videos und shareable Content im Allgemeinen, wird die Halbwertszeit von Inhalten immer kleiner. Die Technologie-Website re/code analysierte zu diesem Zweck die erfolgreichsten viralen Videos aus 2014 von Marken wie Coca-Cola, Dove oder Budweiser. Das Ergebnis: Nach einer Zeitspanne von maximal 15 Tagen sank Anzahl der Views auf den jeweiligen Youtube-Channels wieder auf dasselbe Niveau wie vor dem viralen Video. In diesen Fällen konnten sich die viralen Kampagnen also nicht langfristig auf die Reichweite auswirken.10 Weitere Key Performance Indicators wie Brand Awareness lässt diese Rechnung aber natürlich außer Acht. Dennoch wirft es die Frage auf, ob virale Strategien tatsächlich in der Lage sind einen langfristig positiven Effekt zu erzielen – zumindest bei etablierten Marken.

„Alex from Target“ dagegen konnte seine neu gewonnene Bekanntheit für sich nutzen: Sein Twitter-Account ist auf über 700 000 Follower angewachsen. Anfang Februar begann er einen Youtube-Kanal zu bespielen und erreichte mit seinem ersten Video bereits über 100 000 Views.11 Das Foto eines Teenager an einer Supermarktkasse reichte in diesem Fall aus, um im Kollektiv des Internets einen Sturm der Begeisterung auszulösen. Und darum ist „Alex from Target“ auch ein gutes Beispiel dafür, dass Viralität nur bedingt planbar ist. Natürlich kann man das virale Potenzial einer Kampagne durch das bedienen internetaffiner Inhalte begünstigen – doch unterm Strich entscheidet der Zufall und das Kollektiv der Internetnutzer über Erfolg und Misserfolg.

  1. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=uQB7QRyF4p4, Zugriff 24.2.2015.  
  2. Vgl.: http://gawker.com/who-is-alex-from-target-and-why-is-teen-twitter-obsess-1653969291, Zugriff 24.2.2015.  
  3. Vgl.: https://twitter.com/acl163, Zugriff 24.2.2015.  
  4. Quelle: http://www.social-media-magazin.de/artikel/magazin/heft-nr-2011-04/l0/virales-marketing/  
  5. vgl. http://www.social-media-magazin.de/artikel/magazin/heft-nr-2011-04/l0/virales-marketing/  
  6. vgl. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/virales-marketing-die-suesse-macht-der-web-werbung-a-639187.html  
  7. vgl. http://www.social-media-magazin.de/artikel/magazin/heft-nr-2011-04/l0/virales-marketing/  
  8. Quelle: http://www.forbes.com/sites/kashmirhill/2012/01/24/mcdstories-when-a-hashtag-becomes-a-bashtag/  
  9. Quelle: https://twitter.com/danozzi/status/562401514351001600/photo/1  
  10. Quelle: http://recode.net/2015/01/27/going-viral-doesnt-matter-anymore/  
  11. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=tLslbXSmkVg