Augmented Reality als Retter der WELT

Kürzlich erklärte „Bild“-Chef Kai Diekmann in einem Interview mit Journalistenschülern: „Wo kein Geld ist, gibt es auch keinen Journalismus“. Doch wo soll das Geld herkommen? Angesichts der stetig sinkenden Auflagenzahlen bei den Tageszeitungen und den rückläufigen Anzeigen, müssen Medienkonzerne neue Wege gehen, um ihre Einnahmen langfristig zu sichern. Die Springer-Zeitungen DIE WELT und DIE WELT Kompakt setzen beispielsweise auf Augmented Reality (AR), um die Abwärtsspirale zu stoppen. Aber ihre Kundschaft reagiert noch zurückhaltend.1

von Isabella Schukraft

Axel Springer hat sich im vergangenen Sommer von seinem analogen Ballast befreit. Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt, Hörzu – verkauft an die Funke-Mediengruppe. Die verbleibenden Titel wurden digitalisiert: Die BILD bekam ein Plus und ging mit dem Paid-Content-Modell erfolgreich online. Ein klares Zeichen gegen die Kostenlos-Mentalität im Netz. DIE WELT und DIE WELT KOMPAKT setzen auf Augmented Reality. Am 6. September 2013 erschien die erste augmentierte Ausgabe der WELT, pünktlich zum Auftakt der IFA in Berlin. Kein Zufall. In der monothematischen Erstausgabe drehte sich alles um Zukunftstrends.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Was versteht man eigentlich unter Augmented Reality? Es handelt sich dabei um eine Technologie, die unsere reale Welt um eine virtuelle, computergenerierte Realität erweitert. Erst mithilfe eines Tablets oder Smartphones ist es möglich, die zusätzlichen Wahrnehmungsebenen zu erkennen. Hat der User einen speziellen Code oder ein Bild eingescannt, kann er in Echtzeit mit dem Medium interagieren, zusätzliche Informationen abrufen, sich Videos, Fotostrecken und dreidimensionale Darstellungen ansehen uvm.

Titelseite der Erstausgabe der WELT mit Augmented Reality vom 6. September 2013

Sonderausgabe DIE WELT mit Augmented Reality vom 6.9.2013                      Foto: I.S.

Mit insgesamt 21 Augmented Reality-Angeboten, davon war etwa die Hälfte werblich, katapultierte sich Axel Springer in den digitalen Anzeigenhimmel. Laut Konzernangaben wurden die augmentierten Angebote der Erstausgabe rund 230.000-mal aufgerufen. Springer wertet dies als Erfolg. Seitdem ist es allerdings still geworden um die Zugriffszahlen. Kein gutes Signal. Die traurige Bilanz der vergangenen fünf Monate: Kein weiterer Anzeigenkunde hat seit der Sonderausgabe auf die neue Möglichkeit der Vermarktung gesetzt. Dafür erweitern die Redaktionen ihre zweidimensionalen Inhalte konsequent täglich mithilfe der neuen Technologie. Im Schnitt kommen die beiden Springer-Zeitungen auf vier redaktionelle Anwendungen, wie Fotostrecken und Trailer pro Ausgabe. Zum Vergleich: Die Zeitschrift Focus bietet ihren Lesern durchschnittlich 20 AR-Anwendungen pro Ausgabe, angereichert durch Fotos, Videos, Gewinnspiele und Votings. Doch auch hier ist von finanzstarken, erweiterungsfreudigen Anzeigenkunden weit und breit nichts zu sehen.

Ein Rückschlag oder eine kalkulierte Durststrecke? Letzteres, wie mir der Teamleiter Sales von Axel Springer, Christoph Schmidt, versichert. „Viele Kunden sehen Augmented Reality noch als Spielerei“,  bedauert der smarte BWLer. Darum nehme Axel Springer bewusst den anfänglichen redaktionellen Aufwand in Kauf, um den Kunden langfristig eine attraktive Umgebung für ihre Anzeigen zu bieten. Der Teamleiter ist überzeugt, dass „man den Markt erstmal überzeugen muss.“ Das kann noch dauern.

Neue AR-Offensive zur Cebit

AR_Welt am Sonntag Kompakt_23.02.2014

Augmented Reality in der Welt am Sonntag Kompakt am 23.2.2014                      Foto: I. S.

Bis dahin entwickelt sein Team kreative und portfolioübergreifende Angebote für den Anzeigenkunden von morgen. Hierzu präsentiert er stolz seinen nächsten Coup, der zum Auftakt der Cebit im März 2014 geplant ist. Es handelt sich erneut um eine monothematische Zeitungsausgabe, diesmal zum Thema Digitalisierung. Ich frage Schmidt, ob Augmented Reality in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, die Abwärtsspirale zu stoppen. Er überlegt kurz und erklärt, dass „Augmented Reality nur ein Teil des Puzzles sein kann“. Er verstehe AR als „eine Ergänzung des digitalen Angebots“. Darüber, ob die Augmented Reality die zwei Tageszeitungen langfristig vor dem Zeitungstod retten kann, vermag er nicht zu spekulieren.

Eine Schweizer Lyrikerin sagte einst: „ Es ist schwer, in die Zukunft zu sehen, wenn mein Blick stets in den Rückspiegel fällt.“ Eine kluge Aufforderung zu mehr Mut, sich für Neues zu öffnen, seitens der Verlage, der Leser und der Werbeindustrie. Denn die Digital Natives, wie die jungen Menschen genannt werden,  die das Leben ohne Internet nicht kennen, besitzen keinen Rückspiegel. Bis an die Zähne vernetzt, erwarten sie die ultimative Hyperfähigkeit aller Inhalte. Ob die gedruckte Zeitung diesem Anspruch gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. Papier ist ja bekanntlich geduldig.

  1. Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=PDRmcCvtFrg, Zugriff 2014-02-20 12.45 Uhr  

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