Bürgermeister in der Geisterstadt

Foursquare ist die Wiedergeburt einer Idee, deren Potenzial selbst Google einst entgangen ist. Doch nach über sechs Jahren strauchelt das Unternehmen dabei, sich neu zu erfinden – ein Abriss.

von André Pitz

foursquare_problemsfoursquare von J Chou unter CC BY-NC-ND 2.0

So hat sich das Dennis Crowley bestimmt nicht gedacht. Foursquare, Crowleys Unternehmen und einstiger Star am Himmel der Location-Based-Services, ist im Tech-Mekka San Francisco und dem Gründungsort New York längst zum Inbegriff für Stagnation geworden.1 Dabei sollte dieses Mal alles anders und so viel größer und besser werden.

Ein kurzer Sprung in die Vergangenheit. Der damals Mitte-20jährige Crowley gründet 2003 zusammen mit seinem Studienkumpel Alex Rainert Dodgeball – vier Jahre, bevor das iPhone den Siegeszug der Smartphones einläutete und flächendeckendes mobiles Internet greifbar war. Dodgeball lässt sich per SMS den Standort des Nutzers zuschicken und liefert im Gegenzug Tipps – etwa welche Restaurants in der Gegend das beste Essen zu bieten haben und ob gerade Freunde in der Nähe sind. Zwei Jahre später wird Google auf das Start-Up aufmerksam und übernimmt das kleine ambitionierte Unternehmen samt Team.2 Unter der Herrschaft des kalifornischen Suchmaschinenriesens wird aus Dodgeball (das mittlerweile schon wieder eingestellte3) Latitude und aus Crowley und Rainert ein Paar frustrierte Gründer. Das Duo wirft Google mangelnde Unterstützung vor, um das volle Potenzial ihres Dienstes entfalten zu können. Nach knapp zwei Jahren verlassen sie entnervt das Unternehmen. Spuren sind davon bis heute auf Flickr zu sehen.4

Ein Phoenix aus der Web-2.0-Asche

Ende 2008 dann ein neuer Versuch. Nach dem überwundenen Desaster rund um Dodgeball und Google entsteht unter der Federführung Crowleys im Herzen New Yorks Foursquare – eine Art Dodgball 2.0. Wie gehabt bietet der Dienst ortsbasierte Tipps, wenn man ihm verrät, in welcher Locationen man sich gerade befindet. Spielerische Elemente ziehen immer mehr Nutzer an, die durch diese Check-Ins spezielle Abzeichen verdienen und sich im Wettbewerb mit anderen Nutzern zum sogenannten Bürgermeister einzelner Locations aufschwingen wollen. Sie hinterlassen selbst unzählige Tipps und verhelfen Foursquare so ganz nebenbei zu einer der umfangreichsten und ausgeschmücktesten Ortsdatenbanken überhaupt – ganz zur Freude der Investoren, die dem Start-Up fröhlich einen Scheck nach dem anderen ausstellen.

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Zu nah an der Sonne

Zurück in der Gegenwart. Die bis dato über 160 Millionen Dollar Risikokapital6 scheinen im Nichts verpufft zu sein. Ganze sechs Finanzierungsrunden waren nötig, um Foursquare am Leben zu halten. Und doch hat es Dennis Crowley immer noch nicht geschafft, schwarze Zahlen zu schreiben und eigenes Kapital aus seiner wertvollen Datenbank und nach eigenen Angaben 55 Millionen registrierten Nutzern7 zu schlagen. Vom einstigen Location-Based-Darling der Start-Up-Szene ist heute nicht mehr viel übrig. Beim Versuch, dem Dienst wieder mehr Schwung zu geben und sich stärker gegen den größten Konkurrenten Yelp zu positionieren, begeht Crowley den Kardinalfehler: Er vergrämt seine treusten und intensivsten Nutzer.

Im Zuge des völligen Kontaktverlustes mit der Basis werden im Frühjahr 2014 sämtliche Gamification-Elemente aus Foursquare gestrichen. Sie tauchen, wenn überhaupt, in lediglich rudimentärer Form in der neuen App Swarm wieder auf. Badges: verschwunden. Bürgermeistertitel: abgeschafft. Bestenliste: ausradiert. Fans laufen Sturm oder resignieren und verlassen das Netzwerk gleich komplett.8

Erst über ein Jahr später scheint sich Foursquare der tatsächlichen Bedeutung dieser Features für das Produkt bewusst geworden zu sein und rudert zurück. Mittlerweile sind sowohl Abzeichen als auch Bürgermeistertitel zurückgekehrt.9 Die Zwangsaufteilung in zwei Apps besteht jedoch immer noch. Foursquare erholt sich trotzdem langsam und erklimmt, wenn auch nur sehr langsam, wieder höhere Positionen in den Appstore-Charts. Swarm hingegen meldet sich, wenn überhaupt, nur von den untersten Rängen.10

Dennis Crowleys größte Herausforderung bleibt, den Dienst zu monetarisieren und dabei auf Check-In-Daten, die Foursquare einst haben wachsen und herausstechen lassen, zu verzichten, wenn Swarm seinen Abwärtskurs beibehält. Erste Schritte in Richtung neuer Erlösquellen sind bereits durch einen Deal mit Twitter11 und die Einführung der neuen Vermarktungsplattform Pinpoint12 getan, aber sie werden wohl ohne den Großteil der User begangen werden, die Foursquare zu seinem Glanz verhalfen. Die einst so dicht besiedelte Check-In-Wiese verwandelt sich in eine Geisterstadt – und wer will dort schon Bürgermeister sein?

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