Konsum schlägt Anarchie

Als die“ große Freiheit“ wurde das Internet lange gefeiert. Doch die großen Konzerne wissen das Netz heute besser für sich zu nutzen als sie es sich je hätten träumen lassen. Der User des einst so freien Mediums ist längst zum Kunden degradiert worden. 

von Jan Interthal

Das Internet ist die wohl größte Medienrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks. In eine Medienwelt, die aufgeteilt zwischen Fernsehen und Print in einem Gleichgewicht der Massenunterhalter und -informierer über ein halbes Jahundert in geregelten Bahnen verlief, platze das Internet wie eine Urgewalt. Es brachte alles ins Schwimmen. Wild war es, ungestüm. Der Empfänger wurde zum Sender, es entstand eine gigantische, schier grenzenlose Plattform für einfach alles was sich digitalisieren lässt. Strukturkonservatismus war dem Internet fremd. Alles schien möglich. Doch die Schockstarre der etablierten Medienmacher dauerte nur wenige Jahre. Zusammen mit neuen Mitstreitern und Konkurenten wurde das Internet analysiert und neu geprägt – und so aus der Anarchie der Selbstbestimmung herausgerissen. Heute ist alles was wir im Netz tun überwacht: Blog-, E-Mail-, Twitter-, Facebookmarketing und Suchmaschenoptimierung sind die Waffen im Kampf um Informationen, die aus dem Internet einen Goldesel der Konzerne gemacht haben.

Wer etwa einmal bei Zalando, dem Online-Schuhhändler und ganzem Stolz des ehemaligen Berliner Start-Ups „Rocket Internet“, wer also bei Zalando einmal nach Schuhen geschaut hat, der wird dies, ob er will oder nicht, auch wieder tun. Denn mit Hilfe sogenannter Cookies wird das Interesse des Users für das angesehene Produkt gespeichert. Und diese Information über eventuelle Konsumabsichten hilft den Marketern des Internets nun dabei, gezielt Werbung zu schalten. Beim nächsten Facebookbesuch wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine Werbung von Zalando auf der rechten Seite des Bildschirms erscheinen. Es ist das Geschäft mit Informationen über ihre Nutzer, mit dem Internetkonzerne ihr Geld verdienen und mit dem es etwa Google, unumstrittener Marktfüher im Suchmaschinensegment, zu einem der größten Konzerne der Welt aufgestiegen ist. Über zahllose Wege und Kanäle werden Internet-User heute regelrecht ausgespäht. Wann hält sich User X für wie lange auf welcher Website auf, wohin wechselt er anschließend und wie lnge ist die Werbe-E-Mail geöffnet, die er aufgrund des Besuchs einer bestimmten Website erhält? All diese Informationen werden auf gigantischen Servern gespeichert und systematisch ausgewertet. Die massenmediale Säkularisierung, die universelle Zerstreunung für die das Internet einmal stand, sie ist den Gewinninteressen der großen Konzerne, aber auch denen kleiner und mittlerer Unternehmen gewichen, die das Internet ebenfalls für ihre Interessen zu nutzen wissen. Wer etwa mit dem Smartphone ein schönes Café in Berlin sucht, der muss davon ausgehen, dass die ersten „Hits“, also die zuerst angezeigten Suchergebnisse, auf seinem mobilen Endgerät von Café-Betreibern stammen, die GoogleAdwords nutzen. Ein Programm, das mit Hilfe von Schlüsselwörtern Anzeigen bestimmter Unternehmen plaziert, wenn auf Google gesucht wird.

Natürlich ist es vielen Usern auch ganz recht, dass dieses Online-Marketing dazu führt, dass sie zu Produkten oder Dienstleistungen geführt werden, die sie eventuell vorher schon einmal interessiert haben. Die Informations- und natürlich auch die Werbeflut sozusagen für den Nutzer optimiert wurden. Doch sehen viele unwissenende und unaufgeklärte User nicht die Gefahren eines solchen Vorgehens. Denn wer nicht hinterfragt, nicht wachsam ist, der wird vor allem eins: gelenkt. In einem Medium, in dem sich jeder anonym und unbeobachtet fühlt, ist eine Werbemaschinerie entstanden, die ihren Betreibern ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Der User wird zum Kunden erzogen und per Dauerfeuer mürbe geworben. Schließlich weiß man dank all der gesammelten Informationen, wen man mit was locken und binden kann.

Doch man kann sich schützen. Programme wie der C-Cleaner oder diverse andere Cookieblocker, benutzen mittlerweile viele versierte User um sich vor der Durchleutung zu schützen. Dem Geschäft schadet das kaum, schließlich ist das Gros der User eher naiv als versiert im Umgang mit dem Massenmedium der Gegenwart. Google hat soeben Rekordzahlen vermeldet und sich in Motorola einen etablierten Produzenten mobiler Endgeräte gekauft. So kann der Branchenprimus noch großflächiger auf noch mehr User und ihre kostbaren Informationen zugreifen.

Das Internet ist seinen frühen Jahren und der Anarchie des Neuen und entwachsen. Es ist heute mehr denn je ein Teil des globalen Kapitalismus und wird mehr und mehr zu dessen wichtigstem Motor. Die Grenzenlosigkeit, das verlustfreie Kopieren von Daten, Beschleunigung und Vernetzung der Kommunikation; all das verschafft einen Zugang zum Konsumenten, die lange unvorstellbar schien. Die Unschuld der frühen Jahre hat das Internet längst verloren. Ob das gut ist oder nicht, wer weiß das schon.

Schreibe einen Kommentar