Der Saugmotor – Eine bedrohte Spezies

Spitz stellen sich meine Nackenhaare auf, meine Pupillen weiten sich wie unter THC-Einfluss und der Kopf dreht sich blitzartig in Richtung des Geräusches um. In solchen Momenten, in denen ein Saugmotor mit 4,0 Liter Hubraum aufwärts in Wallung versetzt wird, erleidet manch einer eine Dopaminausschüttung, die andere nur vom Orgasmus kennen.

von Benjamin S.

Saugmotoren, die über die Drehzahl einen brachialen Vortrieb generieren, und einem ab 5000 Umdrehungen pro Minute ein Dauergrinsen ins Gesicht meißeln, vor allem gepaart mit einer wahlweise böse brabbelnden oder wütend schnaubenden Abgasanlage, sind für viele die Erfüllung. Doch sind sie vor allem eins: vor dem Aussterben bedroht.

Vor dem Aussterben bedroht - der Saugmotor

Typisch italienisch – Saugmotor mit 4,0 Liter Hubraum

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„Aus Unvernunft wird Lebenslust, Verbrauch, der ist egal.Hauptsache ist, der Motor treibt, nach oben die Drehzahl.“ – J.L.Schmidt 2

Er hat viele Namen – Spritschleuder, Schluckspecht, Ohrgasmusmaschine. Dabei gibt es nur zwei Wahrheiten: er polarisiert und er stirbt aus. Leider gibt es keine rote Liste für bedrohte Motoren, äquivalent zur Artenschutzliste für bedrohte Tiere. Gäbe es eine, stünde an allererster Stelle wahrscheinlich der M 156 KE 63. Hinter dieser kryptischen Motorbezeichnung steckt der göttliche 6,2 Liter V8-Ottomotor mit bis zu 517 PS und 620 Nm Drehmoment aus dem C63 AMG der Affalterbacher Edelmotorenschmiede.3

Sein Klang ist legendär, fast ordinär und nimmt akustische Anleihen bei den großen Big Block Motoren der amerikanischen Corvette oder des legendären Shelby Gt 500. Oder etwas distinguierter der V8-Mittelmotor des 458 Italia, der aus 4,5 Litern Hubraum maximal 605 PS schöpft und dessen 540 Nm erst bei 6000 Umdrehungen anliegen. Dieser ist alles gänzlich andersartige Symphonie komponiert, bei Tempo 30 noch dezent dahin säuselnd, steigert er sich bis 9000/min zu einem frenetischen Inferno, das Gänsehaut wie am Fließband produziert. Inzwischen ist für das so genannte „Sound Engeneering“ eine ganze Delegation von Mitarbeitern zuständig, um den Klang des Antriebsstranges (es klingt nicht nur der Motor) die Markenidentität verkörpern zu lassen. Gerade der stark bedrohte V8 weiß mit einer feinen Singstimme im Bariton zu hypnotisieren. Doch dieser emotionale Aspekt der Autoindustrie verblasst, denn ein Motor, der erst bei 5000/min oder mehr sein volles Drehmoment nutzbar macht und dabei schluckt wie eine im Geschäft etablierte Pornodarstellerin, ist aus heutiger Sicht ähnlich ineffizient wie ein Pferd ohne Hufe.

Eine bedrohte Spezies

Der Sound des Ferrari 458 Italia

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Die neueste Generation von Bi- oder gar Triturbomotoren dezimieren ein Turboloch in den Millisekundenbereich und pressen mit mindestens 1,4 Bar derart gewaltsam komprimierte Luft in den Brennraum, dass das Drehmoment bereits ab 1400/min zur Verfügung steht. Noch streberhafter sind gar Elektromotoren wie der des Tesla Modell S, der sein gewaltiges Drehmoment von 600 Nm sofort bereitstellt. 6

Alles neu – alles besser also? Die Sucht nach Drehzahl fasziniert die Menschheit schon seit Erfindung des Ottomotors, damals wusste sie es nur noch nicht. Erst ab einer gewissen Frequenz vermag der Motor einem die wahren Emotionen zu transferieren, die überbordende Lust nach mehr Drehzahl, der mechanische Uhrschrei, der in einem Crescendo durch Motor, Getriebe und Karosserie peitscht und den rechten Fuß fest auf das Gaspedal zementiert, bis das Fortissimo jäh von der nächsten Biegung unterbrochen wird und einen die Realität wieder einholt, in der man erst viel zu spät aufs Bremspedal zu treten im Stande ist. Ein Turbomotor mag auf 100 km/h die ein oder andere Zehntel herausholen und später mit seinem Turbopunch und Wastegate-Zwitschern glänzen, selbst bei der Elastizität punkten und nur zwei Drittel des Saugers an Sprit verbrauchen. Das fast surreale Beschleunigungsgefühl eines potenten Elektromotors weiß auch auf seine Art zu beeindrucken, zoomt es einen gänzlich ohne Schaltzeit und Geräusch in Sportwagenmanier auf Autobahntempo.

Dahinter steckt jedoch eine Abgebrühtheit, eine klinische Präzision, die zwar beeindruckend den technologischen Fortschritt vor Augen führt, dabei aber das wichtigste vernachlässigt: das Herz. Was nützt ein Vortrieb ohne Laut? Endlich ruhige Straßen, werden Stimmen kundtun. Keine Abgase mehr. Sterilität. Anfühlen aber wird es sich, wie das Ziehen der Zugvögel an einem klaren Oktobermorgen, bloß ohne Gezwitscher.

Ein Saugmotor ist von seiner Charakteristik her im Grunde sehr Italienisch – laut, extrovertiert und wenig effizient – weswegen Ferrari und Lamborghini sich in ihrer Konsequenz bestätigt sehen, dem Saugmotor treu zu bleiben. Der neue Huracán beispielsweise zelebriert mit seinem modernen V10 schon fast einen gewissen Purismus, einen Motor ohne zwei künstliche Lungen, dafür aber mit einem großen Herzen.

Der neue Huracán mit seinem modernen V10 -Motor

Der neue Huracán mit seinem modernen V10 -Motor, @ Robert102

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Das Herz; das ist es überhaupt, der Grund, wieso dieser Artikel geschrieben wurde, der Grund, wieso es aller Öko-Auflagen zum trotz so begehrenswert ist, noch einen alten Sauger zu besitzen. Fast muss man sich heute schlecht fühlen, das Autofahren noch zu genießen, als Umweltsau ohne Verantwortungsbewusstsein und Rücksicht auf Zukunftsgenerationen. Verdammt von der Generation Prius, die mit gerümpfter Nase jedes Auto ohne Hybridantrieb und mehr als 90 PS als alleinigen Verursacher für den Untergang Tuvalus verantwortlich macht. Da ist etwas dran und wir alle sollten uns deswegen ein bisschen schlecht fühlen. Doch nie hat es sich so gut angefühlt, sich schlecht fühlen zu müssen.

Der Saugmotor – ein Konzept, geboren, um zu sterben, nicht geschaffen für die Ewigkeit. Unterlegen den neuartigen, nach dem Kriterium der ultimativen Effizienz entwickelten Motorkonzepten, selbst aus der Königsklasse des Motorsports verdrängt. Diese Hommage soll daran erinnern, dass vielleicht auch scharfe Kritiker das Geräusch eines vorbeifahrenden V8 missen werden, wenn unsere Straßen in absehbarer Zukunft mit sauberen Elektroautos gesäumt sind. Die Nackenhärchen stellen sich eben nicht allein ob einer besonders brachialen Beschleunigung auf, oder eines extremen Gripniveaus. Sie stellen sich auf um zu signalisieren: ich fühle es. Den Rausch der emotionalen Beschleunigung, die Stimulation des gesamten Organismus durch den Moment der uneingeschränkten Ekstase, der entsteht, wenn sich Beschleunigung, Geschwindigkeit, Geräuschpegel und Vibration sich zu einem Gefühl verbinden.

Und das kann einer eben besonders gut: der Sauger.

  1. Quelle: pixabay.com  
  2. Quelle: Autoexperte bei Men´s Quality, Berlin – 2014  
  3. Videonachweis: www.https://www.youtube.com/user/OfficialMercedesAMG.de, Zugriff: 23.02.2015.  
  4. Quelle: http://auto.ferrari.com/de_DE/wp-content/uploads/sites/9/2013/07/Partenza_V01_worked.mp3  
  5. Quelle: http://deutsch.istockphoto.com/stock-photo-33125974-ferrari-f430-engine.php  
  6. http://www.teslamotors.com/de_DE/models  
  7. Quelle: http://pixabay.com/de/lamborghini-sportwagen-auto-luxus-194484/