Lichter im Dunkeln

Die Zukunft des Kinos beinhaltet offenbar viele kleine, irritierende Bildschirme überall um uns herum. 

von Kevin Huber

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1Die Dunkelheit eines Kinosaales ist eine der letzten Bastionen, die uns noch geblieben sind, um für eine Weile aus unserem hektischen Alltag zu entschwinden und in Geschichten einzutauchen, die es uns ermöglichen, einen Schritt zurück vom eigenen Leben zu nehmen. Wo stößt man heutzutage sonst noch auf das richtige Ambiente – Bild, Ton, Lichtverhältnisse – um sich für zwei Stunden ununterbrochen auf eine einzige Sache zu konzentrieren? Regelmäßige und passionierte Kinogänger dürften in den vergangenen Jahren jedoch eine immer weiter zunehmende Irritation in ihren Sesseln wahrgenommen haben, wenn sie nicht zufällig am liebsten in der allerersten Reihe sitzen (und wer macht das schon?): Die Lichter von Smartphone-Bildschirmen von den netten Mitkinobesuchern aus den Vorreihen. Sie checken ihre Nachrichten, auf die dann auch sofort geantwortet werden muss, sie suchen das passende Restaurant, das nach dem Kino noch besucht werden soll oder vertreiben sich die Zeit gar mit Spielen, weil der Film sie so anödet. Ein klingelndes Handy im Kino ist der Super-Gau (und so mancher ist gar dreist genug, um ran zu gehen), aber selbst die Lichter der Bildschirme lenken schon ab, denn in der Dunkelheit ist jedes einzelne sichtbar. Mein Wunsch: Wenn du nicht Herzchirurg, Kriminalermittler, Staatsanwalt oder Angela Merkel bist (zumindest sind das die Art von Menschen, die in Filmen immer und zu jeder Zeit höchstwichtige Anrufe und Nachrichten entgegen nehmen müssen), dann mach es aus und steck es weg. Nichts kann so wichtig sein, dass es nicht zwei Stunden warten kann.

Tödliche App liefert Zusatzinfos

Man könnte meinen, Kinobetreiber würden mir da zustimmen, aber das ist offenbar nicht so. Diese scheinen in Zukunft die Benutzung von Handys im Kinosaal nicht nur zu dulden, sondern sogar ausdrücklich zu wünschen. Was vor dem Fernseher längst dazu gehört – z.B. in sozalen Netzwerken über den Tatort lästern, der gerade läuft – soll nun auch Einzug in die Lichtspielhäuser halten. Nämlich durch Apps zu den jeweiligen Filmen. Nun sind spezielle Apps zu Filmen keine Besonderheit mehr, viele große Hollywood-Veröffentlichungen benutzen sie längst als Marketingtool, jedoch eher vor und nach dem Anschauen des Films und nicht während. Das soll sich nun ändern: Bereits 2013 startete der erste Versuch in Form eines niederländischen Thrillers, sinnig „App“ betitelt, über eine ebensolche mysteriöse Applikation, die sich zunächst als nützlich erweist, allerdings eine immer größere Bedrohung für die Privatsphäre und schließlich das Leben der Protagonisten darstellt. Zuschauer wurden während der Vorführungen dazu angehalten, sich die App namens „Iris“ – oder „Siri“ rückwärts – herunterzuladen und darüber zusätzliche Informationen zur Handlung oder Filmszenen aus anderen Kamerawinkeln zu erhalten. 23

Singen mit Sebastian und Grüße vom Marlboro Man

Mag das noch ein relativ unbedeutender und wenig einflussreicher Versuch gewesen sein, so wagen sich inzwischen jedoch auch die großen Produktionsstudios an diese neue Vorführmethode heran. Niemand geringeres als Disney schickte kürzlich zwei Klassiker wieder ins Kino und zwar als Second Screen-Versionen: „The Little Mermaid“ und „Nightmare Before Christmas“. Über speziell für diesen Anlass entwickelte Apps konnten sich Zuschauer auch wieder zusätzliche Hintergrundinformationen besorgen, Film-bezogenen Spiele absolvieren oder sich Liedzeilen auf ihre handlichen Bildschirme holen, um etwa bei unsterblichen Gassenhauern wie „Under the Sea“ mit zu gröhlen.4 Auch Werbetreibende wittern bereits neue Möglichkeiten: Die amerikanische Kinokette National CineMedia ermöglicht es Kinobesuchern – dank einer Kooperation mit der App Shazam – sich zusätzliche Informationen zu vor dem Hauptfilm präsentierten Produkten und Filmen auf ihre Handys zu holen – vielleicht erfahren wir so endlich mehr über den Marlboro Man. Während dem Film wird jedoch darum gebeten, die Handys auszuschalten. 56

Kreativ befreiend oder ADHS-fördernd?

Eine Verwendung der Second Screen-Methode, die den Film tatsächlich bereichert, kann ich bisher allerdings nicht erkennen – die Auseinandersetzung mit Hintergrundinformationen oder gar Spielen während des Films ist eindeutig eher Ablenkung. Das bedeutet allerdings nicht, dass der zweite Bildschirm in Einzelfällen nicht durchaus auch interessante artistische Möglichkeiten eröffnen kann: Ein intelligent konzipierter Film könnte mit Hilfe von IPhones oder IPads zur interaktiven Schnitzeljagd werden, wo Teile der Handlung durch die Inhalte des zweiten Bildschirms in ein ganz anderes Licht gerückt werden, und dem Zuschauer so tatsächlich erlauben, tiefer in die Geschichte einzutauchen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass derlei Projekte eher die Seltenheit sein und Kinobesuche der Zukunft weniger anregend ausfallen werden, im schlimmsten Fall gar alptraumhaft: Irgendwelche hektischen (und farblosen) Dinge fliegen uns in 3D von der Leinwand entgegen, während unsere Sitze rütteln, uns künstlich erzeugter Gestank in die Nase steigt und wir mit unseren Handys versuchen, Zusatzinformationen zu der Geschichte zu ergattern, von der wir bei all dem Trubel ohnehin nichts mitbekommen. Unsere immer weiter absterbende Aufmerksamkeitsspanne bedankt sich herzlich.

  1. Bildquelle: Flickr, Leo Hidalgo via CC  
  2. Quelle: Screenrant  
  3. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=1D2MGaz5-mg, Zugriff: 25.01.2015; 23:32.  
  4. Quelle: Mashable  
  5. Quelle: Kansas City Star  
  6. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=tYpRQ5Mw2lM, Zugriff: 25.01.2015; 23:32.