Die Masse macht’s

Das Internet, der beste Feind des Journalisten. Es hat ihm neue Werkzeuge gegeben, ihm ein Meer an Informationen offenbart und trotzdem ist die Beziehung eine heikle. Denn sie verlangt wie jede Form von Beziehung Kompromissbereitschaft. Das Web 2.0 stellt dem Berufsbild neue Herausforderungen. Journalismus ist keine Einbahnstraßenkommunikation mehr. Jeder hat nun die Möglichkeit sich selbst zu veröffentlichen.

von Marie Kamprath

„Journalisten verlieren einen großen Teil ihrer Interpretationshoheit“, erklärt die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel und trifft mit dieser Aussage den Nerv des digitalen Zeitalters. Der Trend geht zum Bürgerjournalismus. Immer mehr journalistische Amateure machen von ihrem Stimmrecht Gebrauch; werden zu Produzenten statt sich als Rezipient die Welt erklären zu lassen.

Was als Bedrohung für den Journalistenberuf viele alarmiert, hat durchaus positive Nebenwirkungen. Crowdsourcing wird als Ressource eingesetzt. Frei übersetzt bedeutet diese Maßnahme eine Schwarmauslagerung, die den Journalismus in eine kollaborative Form wandelt. Die Redaktion instrumentalisiert die Masse, bedient sich der Netzgemeinschaft als Recherchepotenzial. Durch die Kräftebündelung gelingt es Berichterstattungen kostengünstig mit mehr und teils näheren Informationen aufzuwerten.

Crowdsourcing gehört für die britische Tageszeitung „The Guardian“ zur Routine und mittlerweile auch zum Erfolgsrezept. Während der Unruhen vergangenen August im Londoner Stadtteil Tottenham, gestaltete es sich für Reporter schwierig den Überblick über die Gesamtsituation zu wahren. Die Redaktion des Guardian reagierte auf das Chaos mit einem Leseraufruf. Menschen in der Umgebung der Brennpunkte sollten ihre Eindrücke schildern und an die Redaktion schicken. Somit fütterte der Guardian seine Artikel mit Material externer Informanten und verlieh seiner Berichterstattung nachdrücklich Authentizität. Das Konzept funktionierte bereits bei einem anderen Unterfangen. Erneut involvierte der Guardian seine Leser 2011 bei der Sichtung von knapp einer halben Million Abrechnungsbelegen von Parlamentariern. Die Datenmenge wäre für eine Redaktion schier unmöglich allein zu bewerkstelligen. Rund 10 000 Helfer durchforsteten die bereitgestellten Dokumente nach auffälligen Ausgaben.

Videonachweis: http://www.youtube.com/watch?v=NKKBJfc4b30 Zugriff am 12.07.2012

Crowdsourcing avanciert zum elementaren Bestandteil des investigativen Journalismus. Deutschlands Premiumbeispiel ist GuttenPlag. Tausende User beteiligten sich an der Analyse von Karl-Theodor zu Guttenbergs Dissertation. Innerhalb von zwei Monaten wurden mehrere schwerwiegende Plagiatsfragmente aufgedeckt, dessen Entlarvung letztendlich den Rücktritt des ehemaligen Verteidigungsministers bewirkten. Erst die Macht der Masse ermöglichte die notwendige Transparenz in der Guttenberg-Affäre, die ohne das gemeinsame Engagement die Recherchekapazität der Medien gesprengt hätte. Diese Art von Teamwork funktioniert ohne dass man seine Mitstreiter kennt. Dezentral und meistens ohne Bezahlung. Die Motivation ist das gemeinsame Ziel, das große Ganze.

Zum Teil lautet das Ziel auch sich selbst zu Verwirklichen. Immerhin bietet das Internet genug Platz für jeden und jegliche Meinung. Daraus entsteht der sogenannte Bürgerjournalismus. Die Grenze zwischen Crowdsourcing und User-Generated-Content ist fließend. So entstehen Plattformen wie myheimat.de vollkommen aus Beiträgen von Nutzern. Sie versprechen ihren Autoren Resonanz, bieten ihnen die Möglichkeit sich und ihr Wissen oder Meinung einzubringen und handle es sich nur um Nachbarschaftsangelegenheiten. Die Huffington Post, ein Pionier in Sachen Online-Journalismus, rühmt sich als erfolgreichste Mischform von festangestellten Journalisten und Bürgerreportern. Im Juni 2011 gelang es der Onlinezeitung mit über 35 Millionen Besuchern den Online-Traffic der New York Times zu überholen. Die Huffington Post setzt auf seine Bürgerreporter, die eine Themenvielfalt generieren die sonst außen vor blieb.

Das Prinzip des Bürgerreportings wirkt sich profitabel für beide Parteien aus. Das Online-Medium bekommt kontinuierlich neue Inhalte. Die Bürgerreporter haben eine Präsentationsfläche für ihre Anliegen und erreichen damit eine Reichweite, die ein persönlicher Blog Ihnen in den meisten Fällen nicht bieten kann. Außerdem sind es Stimmen aus der Zielgruppe die Inhalte mit der benötigten Prise Relevanz ausstatten. Amateurjournalismus sollte als Ergänzung zum eigentlichen Content gehandhabt werden statt ihn als Verdrängung des Qualitätsjournalismus abzuwerten. Diese Aufschreie beziffern das verstaubte Elitärdenken, welches das sozial gewordene Internet nicht länger zulässt.

Videonachweis: http://www.youtube.com/watch?v=nLeoyb0Rk4I, Zugriff 12.7.2012

Die Medienlandschaft muss lernen die Netzgemeindschaft zu nutzen, ihr ein Forum zum Austausch aber auch zum Einbringen geben. Amateure fungieren dabei als Quellen, die kumuliert ein breites Spektrum an Inhalten abdecken können. CrowdVoice gehört zu den Vorzeigebeispielen der Crowd-Aggregatoren. Das Portal trägt ausschließlich von Bürgern verfasste Beiträge zu lokalen bis internationalen Protestbewegungen zusammen. Im Dschungel der Webinformationen verschafft CrowdVoice einen Überblick über das aktuelle Geschehen weltweit.

Der Journalist sitzt also nicht mehr allein im Boot. Ungelernte Fachkräfte sind hinzugestoßen, stellen neue „Manpower“ die genutzt werden will. Dabei bleibt der Journalist am Steuer, denn aus dem Meer an gesammelten Informationen muss er nun das Essentielle fischen, auswerten und verifizieren. Dafür legitimiert ihn seine Ausbildung und Erfahrung, die ihm kein Laie streitig machen kann. Aber ohne die Unterstützung eines Teams wird ein Kapitän sich auf längeres nicht behaupten können.

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