Ein Grund zu Vine

Die Twitter-Familie hat ein neues Mitglied: Die Smartphone-App „Vine“ ermöglicht es den Nutzern, kurze Videos miteinander zu teilen. Etwas, worauf das Social Web gewartet hat oder nur sinnlose Spielerei?

von Annelotte Cobler

© Vine

Für alle, denen allmählich die Ideen für geistreiche 140-Zeichen Posts ausgehen, gibt es gute Nachrichten: Twitter schickt seit Anfang Januar seine Videoplattform Vine ins mobile Leben1. Dort können die Nutzer Videos mit Ton von maximal sechs Sekunden Länge aufnehmen und diese im Anschluss posten. Das Erstellen der Videos ist dabei denkbar einfach: Durch Berühren des Displays wird die Aufnahme des Videos gestartet, nimmt man den Finger wieder vom Bildschirm, hält die Aufnahme an. So lassen sich auf simplem Wege kurze Stop-Motion-Videos anfertigen. Ähnlich wie bei Twitter und Instagram können die Beiträge mit Hashtags versehen, kommentiert und geteilt („revine“) werden.

Für jeden was dabei: 15 Channels stehen den Nutzern zur Auswahl

Für jeden was dabei: 15 Channels stehen den Nutzern zur Auswahl  © Vine

Auf der Startseite der Microblogging-Site erwarten den Nutzer Channels zu unterschiedlichen Themen. Die Rubriken reichen von Katzen, über Mode bis hin zu News und Politik. Durch seine spielerische Gestaltung nach dem Motto „In der Kürze liegt die Würze“, hat Vine in einer Zeit, wo lange Texte online eher ungern gelesen werden und Bilder gut und Videos besser funktionieren, den Nerv einer Generation getroffen.

Aber hat die Welt wirklich auf Vine gewartet? Zugegeben, als die App Anfang des Jahres an den Start ging, war sie in ihrer Form einzigartig. In Sekundenschnelle Videos erstellen, sich das zeitaufwändige Schneiden des Mini-Films sparen und das Ergebnis direkt im Anschluss mit anderen teilen – das war neu. Bei Facebook erschöpft sich der eigene audiovisuell-kreative Rahmen darin, einen YouTube-Link auszuwählen und bei Instagram reicht das schöpferische Universum ebenfalls nur von Amaro bis X-Pro. Mittlerweile hat Instagram nachgezogen und hat nun ebenfalls Videos (sogar von bis zu 15 Sekunden Länge) im Programm.

Daher stellt sich die Frage: Wozu Vine?

Die intuitiv bedienbare App lädt dazu ein, sofort selbst loszulegen und zum Regisseur, Off-Sprecher, Protagonisten und Kameramann in einer Person zu werden. Und weil es schwierig ist, etwas Sinnvolles in gerade einmal sechs Sekunden zu packen, stößt man beim Stöbern durch die Vineothek auch größtenteils auf Unsinn: Menschen, die sich beim Zähneputzen filmen oder uns step-by-step an der Entstehung ihres Mittagessens teilhaben lassen. Die Videos sind bestenfalls unterhaltsam, meistens jedoch absolut banal.

Wenn es Vine also im Privaten nicht über die Berieselungsgrenze hinaus schafft, kann es dann vielleicht an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden?   

Die Axel Spinger Akademie unterzog gemeinsam mit der Berliner Morgenpost die App einem Tauglichkeitstest für Echtzeitjournalismus2. Sie schickten einen Crossmedia-Leiter und einen Social-Media-Redakteur auf die Jagd nach O-Tönen zum Berlinale Palast, um einen authentischen Eindruck der Stimmung am roten Teppich für alle Zuhausegebliebenen zu vermitteln. Die Videos erschienen ebenfalls im Twitter-Kanal der Morgenpost und wurden dazu noch in den Live-Blog zur Berlinaleeröffnung eingebettet. Daher wussten die Follower der Berliner Morgenpost als Allererste Bescheid, als sich eine Femen Aktivistin – Überraschung! – direkt am roten Teppich zu Demonstrationszwecken auszog. Als via Twitter schon das Video über die Bildschirme flimmerte, war der Vorfall noch nicht einmal beendet. Noch schneller und aktueller ist nur Live-Berichterstattung.

Auch wenn es in dem Beispiel keine große Rolle gespielt hätte, wenn über den Vorfall nicht unmittelbar im Anschluss berichtet worden wäre, zeigt es dennoch, dass Vine eine innovative Ergänzung im Bereich des Echtzeitjournalismus darstellen kann. Die Videosequenz gewährt einen raschen und exemplarischen Einblick in die Situation – nicht mehr und nicht weniger. Somit wird Vine wohl nie zum wichtigsten Instrument des Echtzeitjournalismus werden, kann aber dazu genutzt werden, ein spontanes Bild vorauszuschicken, denkbar beispielsweise auch bei der Katastrophen-Berichterstattung.

Und alle, die Vine nicht zur journalistischen Berichterstattung nutzen, dürfen gerne weiter Katzenvideos drehen.

  1. https://blog.twitter.com/2013/vine-new-way-share-video  
  2. http://asa-blog.de/2013/02/08/die-news-vine-galerie-experiment-bei-berlinale/  

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