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Steffen Simon und seine Südländer

wie soziale Medien das Fernsehen verändern

 

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„Die Iraner, das sind Südländer, da ist nicht alles perfekt organisiert“. Mit diesem Satz hat sich Steffen Simon während der WM- Begegnung Iran gegen Nigeria selbst ins metaphorische Aus geschossen.

Der Fußballkommentator wollte mit dieser Aussage wohl nur ein wenig Humor in die ansonsten langweilige Partie bringen. Doch der Witz entwickelte sich für den, bei Fußballfans ohnehin nicht sehr beliebten, ARD- Sprecher schnell zu einem Eigentor.

Via Twitter hagelte es Kritik: „Ignoranz hat einen Namen“, unglaublich dämlich“ „Salonrassismus“ oder „Klischeescheiße“ waren nur einige der negativen Reaktionen. Auch WDR-Moderatorin Sanas Saleh- Ebrahimi, die gebürtig aus dem Iran stammt, kritisierte ihren Kollegen: „Iraner sind Südländer und nicht immer gut organisiert. Interessante Ansicht. Bin etwas sprachlos“.

Später in dem Spiel reagierte Steffen Simon auf die Kritik aus dem Netz und sagte: „Ich habe etwas politisch unkorrektes gesagt. Nämlich, dass Iraner Südländer sind und deshalb manchmal etwas schlecht organisiert. Damit wollte ich keinem Südländer auf die Füße treten, sondern habe lediglich Iraner zitiert, die mir bei der Vorbereitung auf das Spiel geholfen haben“. Auch die ARD äußerte sich zu Simons Aussage während des Spiels auf Twitter: „Zur Kritik an Steffen Simon: Wir haben sie direkt an ihn weitergegeben. Es tut uns Leid, wenn die Aussage für Verärgerung gesorgt hat“.

Einmischen lohnt sich, oder?

Die aufgeheizte Stimmung während eines Fußballspiels und die Tatsache, dass aufgrund der Anonymität Kommentare im Internet oft etwas derber ausfallen, mögen die negative Aussage der Zuschauer etwas entkräften. Allerdings zeigt dieser Vorfall, wie sich Nutzerbeteiligung im Netz direkt auf das Geschehen im Fernsehen auswirken kann.

Immer häufiger werden soziale Netzwerke in Fernsehsendungen eingebunden. Doch was bringt das für den Nutzer? Ist diese neue Zusatzfunktion nur weiterer digitaler Stress, der uns an die Smartphones fesselt oder macht dieses Modell das Fernsehen unter Umständen sogar besser, da es den Sender und Empfänger in einen Dialog bringt, der ihnen einen Austausch über die Inhalte der Sendung ermöglicht?

Seitdem fast jeder ein Smartphone oder Tablet besitzt, wird zunehmend während des Fernsehens gleichzeitig im Internet gesurft. Second Screen nennt man dieses Phänomen. Viele der Nutzer halten sich in dieser Zeit in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter auf. Das Second Screen- Phänomen lässt Social TV Anwendungen wie Pilze aus dem Boden schießen. Social TV ist die technologische Entwicklung, die es Nutzern ermöglicht, sich über TV- spezifische Inhalte auszutauschen und miteinander zu interagieren.

Der Fernseher ist nach wie vor das Medium, um das sich die Menschen versammeln, wie einst ums Lagerfeuer. Gerade massenkompatible Formate mit hoher emotionaler Ansprache eignen sich gut für sozialen Austausch. Castingshows, TV- Events oder große Sportereignisse sind einige Beispiele dafür. Die Zuschauer teilen während des gemeinsamen Fernsehens in diesen Momenten ihre Gefühle, was das Fernseherlebnis aufregender macht. Durch den Austausch über soziale Netzwerke kann auch der Zuschauer, der die Sendung alleine schaut, dieses Gemeinschaftsgefühl erleben. Er liest die Meinung anderer Menschen oder kann seine eigene kundgeben. Oft bieten die Fernsehsender auch selbst eine Plattform an, auf denen Hintergrundinformationen veröffentlicht werden oder mit den Zuschauern kommuniziert wird. Anlässlich der Fußball- WM in Brasilien hat die ARD auf der Seite ihrer Mediathek eine Rubrik „Social TV“ eröffnet. Auf dieser Seite wird links das Fußballspiel im Stream gezeigt, während auf der rechten Seite Tweets zu der Sendung zu sehen sind. Die Inhalte werden von der ARD redigiert. Gleichzeitig fungiert der Sender als Moderator der Diskussion um das Spiel. Bei der Partie Spanien gegen Chile beispielsweise, kam unter den twitternden Zuschauern die Frage auf, ob es schon öfter passiert sei, dass ein amtierender Weltmeister bereits in der Vorrunde ausgeschieden ist. Die ARD reagierte darauf und beantwortete die Frage für alle mit einem Tweet.

Aktivität im Fernsehsessel dank Social- TV

Fernsehen war immer ein Lean- Back- Medium. Das bedeutet, dass der Zuschauer sich zurücklehnen und berieseln lassen kann. Social- TV löst das einseitige Sender- Empfänger- Prinzip auf, da die Zuschauer selber eine aktive Rolle im medialen Geschehen übernehmen. Indem Fernsehen und Internet zusammenwachsen, wird es zu einem Lean- Forward- Medium. Das Fernsehen wird interaktiv.

Nicht nur der Zuschauer, der durch die virtuelle Gesellschaft mehr Spaß an einer Sendung hat, profitiert von dem Modell. Auch die Fernsehmacher werden dadurch bereichert. Sie haben ein direktes Feedback der Rezipienten. Bei einer Live- Sendung können sie also sogar in der laufenden Sendung Verbesserungsvorschläge umsetzen oder Informationen einfließen lassen, die für die Zuschauer relevant sind. Der Sender kann das Feedback auch an den Fußballkommentator weitergeben. Der kann dann allen die gefragten Informationen liefern oder wie im Fall von Steffen Simon auf ein Kommentar noch einmal eingehen. Die Fernsehmacher müssen sich in Zukunft darauf einstellen, dass eine Nachfrage für solche Angebote im Internet besteht. Sender müssen eine Social- Media- Redaktion einrichten und Sendungen flexibler gestalten, damit Vorschläge auch umgesetzt werden können.

Natürlich schmälert der Nutzen von Smartphone, Tablet und Co die Konzentration auf das Fernsehgeschehen. Viele finden es auch störend, ständig online zu sein. Für die Qualität des Fernsehens ist die Zusammenschmelzung von Sozialen Medien und Fernsehen meiner Meinung nach allerdings eine gute Entwicklung. Es muss ja auch nicht jeder mitmachen. Profitieren tun allerdings alle Zuschauer davon.

„Ich schaue die WM 2014 nicht!“ – schön, und jetzt?

„Der Preis der Fußball-WM“ – ein Artikel, der zur Zeit auf Facebook für Furore sorgt. Viele liken ihn, die ganz Engagierten teilen ihn sogar. Unzählige Kommentare dazu tragen denselben Tenor: „Ich schaue die WM 2014 nicht!“ Viele nutzen den Moment der WM, um sich als gute Menschen darzustellen und sich mit ihrem Mitgefühl für die Bewohner Brasiliens zu brüsten. Zu mehr reicht es schlussendlich dann aber auch nicht. 

Von Danielle Müller

Der Artikel „Der Preis der Fußball-WM“ fasst die Vorkommnisse zusammen, die der Dänische Journalist Mikkel Jensen während seins Aufenthalts in Brasilien 2014 angetroffen hat. Der Schwerpunkt liegt auf der Ermordung von Straßenkindern. Jensen sieht den Auslöser dieser Morde in der Fußball-WM, die von der Fifa 2007 an Brasilien vergeben wurde. Der Journalist veröffentlichte seine Erfahrungen zunächst privat auf seinem Facebook-Profil, schnell wurden sie aber weiter verbreitet und werden nun in Form eines Blog-Eintrages von vielen Facebook-Nutzern geteilt und geliked. Dabei ist den meisten nicht bewusst, dass nicht die Fußball-WM das große Übel ist, dass das Land plötzlich Straßenkinder ermorden lässt. Wenn man sich wirklich für die Thematik interessierte, würde nicht als erstes der „share-Button“ auf Facebook gedrückt werden. Der erste Schritt wäre, sich über die wirkliche Situation im grössten Staat Südamerikas zu informieren.

Diese sieht folgendermaßen aus: Die Existenz von Straßenkindern ist in Brasilien traurige Tatsache. Sie sind die Folge der großen Armut, von welcher in Brasilien viele betroffen sind. Laut einem Bericht von Amnesty International, lebten 2012 mehr als 16,2 Millionen Brasilianer mit weniger als 40 Dollar im Monat. Familien können so ihre Kinder nicht ernähren und diese landen auf der Strasse, wo sie auch oft ein Leben lang bleiben. Weltweit liegt die Zahl der Straßenkinder bei 80-100 Millionen. Eine aktuelle Zahl für Brasilien zu geben, ist unmöglich. Denn die von der Regierung veröffentlichten Zahlen sind meist nicht real und dienen lediglich zur „Verschönerung“ der dramatischen Realität.

Die Gier der lokalen Geschäftsmänner

Hand in Hand mit der Existenz der Straßenkinder geht auch deren Ermordung. Diese blickt in Brasilien auf eine lange, traurige Tradition zurück. Sie fand ihren Anfang in der Gründung von „Death Squads“ 1960. Dies ist die Bezeichnung für Gruppen, welche das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Sie sind der Meinung, dass die Regierung nicht schnell genug Gewaltverbrechen und Drogendelikte verurteilt. Also ermorden sie Menschen, die in ihren Augen Gefahren für die Politik oder Religion sind. Die Death Squads machen dabei bis heute auch keinen Halt vor Straßenkindern. Stephen Brookes schrieb zu diesem Thema 1991 (also 16 Jahre bevor Brasilien als Austragungsland der WM gewählt wurde) eine Reportage für das „Insight Magazine“. Darin beschreibt er den Fakt, dass 1990 alleine schon über 400 Straßenkinder ermordet wurden und diese Zahl über die Jahre hinweg steigen würde. Denn laut der Polizei verdienen Death Squads 40-50 Dollar pro getötetem Straßenkind. Bezahlt werden sie meist von Geschäftsmännern, die in den sozialen Missständen des Landes eine Gefahr für den eigenen Profit sehen.

Dass die von Death Squads ausgeführten Morde während eines Events im Lande aufgrund blühender Geschäfte und medialer Aufmerksamkeit steigen, ist also kein Wunder. Die WM treibt solche Umstände voran und kann sicherlich nicht nur positiv betrachtet werden. Aber dass Menschen so naiv sind, fälschlicherweise anzunehmen, dass die Morde alleine wegen der Weltmeisterschaft existieren, ist tragisch. Viele Facebook-Aktivisten haben folglich keine Bewunderung für ihr anscheinend tiefes Mitgefühl für die Straßenkinder Brasiliens verdient. Denn haben 90% von ihnen vor der WM nie ein Gedanke daran verschwendet, sich für die Kinder, durch bspw. das Unterstützen einer Hilfsorganisation, einzusetzen. Und werden dies wohl auch nach der WM nicht tun. Viel schlimmer: die meisten gucken nicht über ihren Facebook-Tellerrand hinweg und denken, alle Straßenkinder würden vermutlich nach Ende der WM verschont.

Die Weltmeisterschaft nicht zu gucken, ist also das einzige, was sie zur vermeintlichen Änderung der Situation in Brasilien beitragen. Und natürlich ein Daumen-hoch für die getöteten Straßenkinder auf Facebook zu spenden. Dass diese dadurch aber nicht wieder lebendig werden und ihre noch lebenden Leidensgenossen sich davon auch kein Dach über dem Kopf leisten können, verdrängen die meisten selbsternannten Samariter mit Bravour. Facebook mag zwar mächtig sein, doch hat nicht die Macht, die Welt zu verändern.