Füttern verboten

Nicht erst seit Putin und Franz-Josef Wagner ist das Wort “Troll” entmystifiziert. Das muntere opportunistisch-provokante Kommentieren ist Gang und Gebe auf Nachrichtenforen jeglicher Couleur. Soweit, dass sich im vergangenen Dezember sogar das Bundesverfassungsgericht damit befasste. Wie reagieren Online-Redaktionen auf einen solchen Trend? Wo fängt Zensur an? Und überhaupt: Helfen oder hindern Leserkommentare eigentlich? Ein Beitrag über ziemlich un-mythische Probleme des Online Journalismus.

Die Netzkultur spricht eine eigene Sprache, sie schafft Wörter neu oder verändert deren    angestammte Bedeutung. Selbstverständlich haben weder Franz-Josef Wagner noch das Bundersverfassungsgericht mit Trollen, wie der Volksmund sie kennt, zu tun. Bei der Selbstdarstellung des Präsidenten der Russischen Föderation mag mancher glauben er wäre in den späten Siebzigern mal einem begnet, aber das wäre selbst bei einem ehemaligen KGB-Oberstleutnant mehr Seemannsgarn als alles andere.
Trolle im Netzjargon sind Personen, die sich durch gezielte Kommentare lediglich auf die Provokation anderer Gesprächsteilnehmer oder des Autors beschränken. Sie tragen dabei weder sachbezogenes, noch konstruktives Diskussionsmaterial bei. Sie belagern die Kommentar-Bereiche aller großen (und kleinen) News- und Sportwebseiten und sind im Internet sowieso eigentlich überall zu finden, wo der gemeine User ohne größere Umwege seine Meinung zum besten geben kann. Man könnte sagen Trolle existieren schon seit Anbeginn der Zeit, bereits auf frühen Bulletin Board Systems (Rechnersysteme zur Kommunikation per DFÜ) und frühen Usenet (Unix User Network) Foren, Plattformen die es bereits vor dem World Wide Web gab, konnten Trollaktivitäten festgestellt werden. Mit dem explosionsartigen Wachstum des Internets wuchsen die Trolle mit, so weit, dass Trolling nicht mehr nur misanthropische Freizeitbeschäftigung ist, sondern mitunter politisches Mittel. Schlussendlich befasste sich im Dezember vergangenen Jahres sogar das Bundesverfassungsgericht mit sogenanntem “Troll-Journalismus”.

Bundesverfassungsgericht? Trolle in der Netzwelt? Troll-Journalismus? Wirft man noch die Bild mit in den Topf erscheint das Szenario gleich weitaus weniger krude. Die Kolumne “Post von Wagner” war vor etwas mehr als einem halben Jahr Anstoß zu einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, in dem Stellung dazu genommen wird, inwiefern sogenannte Troll-Blogs und sogenannter Troll-Journalismus noch von der Meinungsfreiheit geschützt ist. Federführender Kolumnist war Franz-Josef Wagner, Chefkolumnist bei Axel Springer. Er griff in seiner Kolumne die Politikerin Gabriele Pauli an, welche sich zuvor hatte in Latex-Kleidung ablichten lassen. Auch wenn es in der Klage Paulis lediglich um die Aussage “durchgeknallte Frau”, eine für Wagner fast schon harmlose Formulierung, ging, machte der Gang durch die Instanzgerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht doch die zunehmende Sensibilität gegenüber Netzinhalten deutlich. Man mag auch hier noch argumentieren, Trolle als individuell agierenden Individuen einfach die gewollte Aufmerksamkeit nicht schenken zu können und sich so des Problems von alleine zu entlädigen, oder im Netzjargon: „Don’t feed the troll“. Aber was tun wenn Trolle zu Rudeltieren werden, wenn sie versuchen, in das Kollektivbewusstsein einzudringen? So geschehen im Zuge der Ukraine-Krise. Wladimir Putin beschäftigt Berichten zufolge eine sprichwörtliche Armee, deren “militärische” Handlungen aus dem systematischen Kommentieren diverser Newsbeiträge zur Situation in der Ukraine auf diversen Onlinemedien bestehen.

“Hunderte bezahlte Manipulatoren versuchen, weltweit die Meinung in sozialen Netzwerken und in Kommentar-Bereichen wie auch bei Süddeutsche.de im Sinne des Kreml zu beeinflussen. Das bestätigen erstmals Strategiepapiere, die Hacker abgefangen haben. “ (Julian Hans, sz.de)

Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage sei erst einmal so dahingestellt, die vollkommen realistische Möglichkeit des Ganzen jedoch regt zum denken an und stellt Onlinemedien vor eine Grundfrage der journalistischen Ethik: Wo fängt Zensur an? Und: Wie geht man als Onlinemedium mit Trollen um und wo fängt das Trollen eigentlich an?
Wie von linksaktiven Bloggern veröffentlicht wurden unter anderem auf der Onlineplattform der Zeit diverse Kommentare gelöscht, auch solche, die nur mit sehr viel wohlwollen als Trolling bezeichnet werden konnten. Was also macht einen politischen Troll aus und wie kann man ihn erkennen? Eine Frage ohne Antwort, denn machte man sich Praktiken wie der Verfolgung von IP-Adressen zur Feststellung systematischer Poster schuldig, wäre die Frage nach der Ethik ohnehin mehr als hinfällig.
Dennoch brauchen Communities seriöser Onlinemedien auch einen seriösen Look, vor allem inhaltlich. Diesen zu schaffen jedoch stellt die Verantwortlichen vor eine schier unlösbare Aufgabe. Während man mit stärkerer Aktivität eigener Moderatoren lediglich erreicht, was zeit.de bereits vormachte, machen Up-Voting Systeme wie sie bei Reddit Anwendung finden für seriöse Onlinemedien schlichtweg keinen Sinn. Es beginnt eine Suche nach Lösungen, und eine solche könnte eine Abkehr vom herkömmlichen Kommentar-Modell wie wir es kennen bedeuten.

Will man sich dem Ganzen entziehen, bleibt am Ende nur das Ignorieren von Kommentar-Bereichen und dergleichen, vorgemacht vom amerikanischen Game Designer Shane Liesegang. Dieser betreibt seit November 2012 einen Twitter Account mit dem Namen “Don’t Read Comments” (@AvoidComments) und hat mittlerweile bereits über 36.000 Follower, Tendenz steigend. Und sucht man doch einen konstruktiven Diskurs, so gelte stets: Füttern verboten.


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