Man sagt die Individualisierung der Gesellschaft zeigt sich in der Nachrichtennutzung – die Medien als vierte Macht der Demokratie spiegeln die Bedürfnisse und Interessen des Volkes wider. Doch was interessiert uns Menschen überhaupt? Die Welt, in der wir leben, der Kontinent, auf dem wir leben, das Land, in dem wir leben, die Stadt, in der wir leben? Ein Besuch bei der Onlineredaktion der Berliner Zeitung wirft genau diese Fragen auf.
Von Valerie Laukat
An einem heißen Spätfrühlingstag treffen sich die Journalismus-Studenten der HMKW Berlin vor dem imposanten Gebäude des Berliner Verlages. Freundlich werden wir von Denis Winkelmann in Empfang genommen. Denis ist ein HMKW-Absolvent und nun freier Mitarbeiter in der Online Redaktion der Berliner Zeitung. Ein kleiner, beruflicher Hoffnungsschimmer macht sich bei seinen Nachfolgern breit. Als wir im 14. Stock des Gebäudeensembles ankommen, begrüßen uns Thomas Kemmerer, Chefredakteur Digitale Medien des Neven DuMont Schauberg Verlages und Michaele Pfisterer, Redaktionsleiterin Digitale Medien für Berliner Zeitung und Berliner Kurier. Die Fensterfronten in den Büros gewährleisten einen beeindruckenden Ausblick auf die Skyline der Hauptstadt. Doch nicht nur optisch, auch kulinarisch werden wir mit Keksen und Gummibärchen verwöhnt. Die Atmosphäre während der Diskussion wirkt vertraut, offen und selbstkritisch – was nicht zuletzt an Denis und seinen beneidenswert humorvollen und freundlichen Kollegen liegt.
Während des Gespräches wird mir klar: „Den“ einzig wahren Stereotyp Leser gibt es nicht mehr. Stattdessen legen die Menschen ganz unterschiedliche Leseverhalten an den Tag. Während die „Alteingesessenen“ immer noch täglich ihre Zeitung am Frühstückstisch lesen, werden für viele Menschen Online-Nachrichten wie die der Berliner Zeitung allmählich unverzichtbar. Die Online-Portale werden während oder nach der Arbeit gelesen. Viele der Unter-Dreißigjährigen haben sich sogar vollständig den digitalen Medien zugewandt. Diese werden gerne und oft konsumiert – vor allem wenn es um lokale Themen geht. Aber woher rührt diese enorme Affinität zu lokalen Themen?
Berlinspezifische, lokale Themen wie Polizei, Verkehr, Kultur sind größtenteils den Softnews zuzuordnen. Softnews sind Nachrichten, die keine unmittelbare Auswirkung auf das Leben der Rezipienten haben und einen eher unterhaltenden Charakter aufweisen. Doch ist es nicht gerade die Auswirkung auf das Rezipienten-Leben, die unmittelbare Betroffenheit und Identifikation mit der eigenen Stadt, die lokale News eben so attraktiv machen? Bei lokalen Nachrichten geht es darum, dem Leser Nachrichten aus seiner Lebenssituation anzubieten, die für ihn in seiner spezifischen Nutzungssituattion brauchbar sind. Das Interesse kann sogar so spezifisch werden, dass statt lokalen Themen (Berlin) nur mikrolokale Themen (z.B. nur Prenzlauer Berg) konsumiert werden. Ob neueröffnete Cafés, Restaurants, die Bauarbeiten an der U-Bahnlinie, die man täglich nutzt oder die kriminellen Vorfälle der letzten Nacht – der Berliner will wissen, was unmittelbar vor seiner Haustür passiert. Für die Journalisten der Berliner Zeitung sei es wichtig, die Leser über das Medium abzuholen und Nachrichten für verschiedene Kanäle wie Twitter und Facebook ansprechend aufzubereiten und somit für Interaktion zu sorgen, betont Thomas Kemmerer.
Medienhäuser, die den traditionellen Erzählstil der Zeitung für die Online Plattformen adaptieren wollen, haben kaum noch eine Chance bei den Lesern zu punkten. Denn welche Themen auf welchem Kanal eher gelesen werden, hängt vor allem von der Aufbereitung an. Michaele Pfisterer zeigt uns die redaktionseigenen Statistiken, welche die Beliebtheit der Artikel anhand der Interaktion der Leser genau messen können. So verlasse ich die Redaktion gesättigt und mit der Erkenntnis : Lokale Nachrichten sind für Storytelling und multimediales Erzählen wie geschaffen – und die Berliner lieben es!