Best Ager: erfahren, kaufkräftig, online

Die Werbung ist voll von attraktiven Blondinen, erfolgreichen Unternehmern, lachenden Kindern und glücklichen Familien mit Eigenheim und einem Golden Retriever. Ein wichtiger Teil der Bevölkerung wird allerdings weitgehend vernachlässigt: die Generation 50+. Obwohl diese Zielgruppe derzeit über ein Drittel aller Deutschen ausmacht und stetig wächst, ist sie in sämtlicher Werbung deutlich unterrepräsentiert. Dabei sind gerade ältere Menschen für das Marketing vieler Unternehmen von hoher Bedeutung. Erfahren, kaufkräftig und moderner als je zuvor – das sind die über 50-Jährigen von heute. Und viel öfter sind sie nun auch online. Das Bild des grau melierten Ehepaares auf der Parkbank hat ausgedient. Und eine Extra-Behandlung wollen sie erst recht nicht.

Nur nicht das S-Wort

Best Ager, Classicals, Master Consumers – für die Generation 50+ wurden im Marketing-Jargon schon diverse Begriffe entwickelt. Viele Vertreter dieser Zielgruppe stehen meist noch im Berufsleben und kennen sich auf den schnelllebigen Märkten gut aus. Deswegen möchten die rüstigen über 50-Jährigen auch nur ungern mit dem S-Wort bezeichnet werden. „Senioren“ klingt halt irgendwie … alt. Seniorenheim, Seniorenreise, Seniorenteller, Seniorenhandy – an mobile, lebenslustige und junggebliebene Menschen erinnern diese Begriffe eher weniger. Ohnehin wird der Begriff „Senioren“ im Marketing oft erst für die über 60-Jährigen gebraucht, mit Best Ager meinen die Experten die 50- bis 60-Jährigen. Das tatsächliche Alter spielt jedoch gar nicht die entscheidende Rolle – wichtig ist, wie man sich selbst einschätzt. „Die Vertreter der Generation 50+ fühlen sich heute im Schnitt rund zehn Jahre jünger als sie eigentlich sind“, erklärt die Marketing-Expertin Suna Dogangünes, „daher wollen sie auch keine Extra-Behandlung bekommen, sondern genauso angesprochen werden wie jüngere Menschen.“ In der Tat halten sich viele Best Ager heute für viel gesünder und fitter als noch vor einigen Jahren. Der Alterungsprozess wird also vielmehr als Chance gesehen anstatt als Gefahr. Heute wird eher schnell weiter gezappt oder umgeblättert, sobald irgendwo Granu Fink oder Treppenlifte beworben werden. Die Generation 50+ muss nicht mehr auf ihre Wehwehchen angesprochen werden. Die Lösungen dafür findet sie schon von selbst.

Die Generation 50+ wird immer moderner. Das Internet stellt für viele von ihnen keine Herausforderung mehr dar, © pixelio.de / Rainer Sturm

Die Generation 50+ wird immer moderner. Das Internet stellt für viele von ihnen keine Herausforderung mehr dar, © pixelio.de / Rainer Sturm

Google statt Arztbesuch

Sowohl im Berufs- als auch im Privatleben der über 50-Jährigen hat das Internet in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung dazugewonnen. Google gehört für sie heute mehr zum Alltag als der regelmäßige Gang zum Arzt oder die morgendliche Lektüre der Tageszeitung. Den höchsten Zuwachs beim Internetkonsum verzeichnen laut dem (N)Onliner Atlas 2012 sogar die 60- bis 69-Jährigen und die über 70-Jährigen, die so genannten Silver Ager. Auf diesen Trend müssen sich die Marketing-Abteilungen in den Unternehmen einstellen. Die teilweise verbreitete Annahme, die Generation 50+ könne nur am Point of Sale und im persönlichen Kundengespräch erreicht und zum Kauf überzeugt werden, ist dieser Tage nicht mehr tragfähig. Nichtsdestotrotz gehört diese Zielgruppe zu der anspruchsvollsten von allen. Auf Qualität legt sie nach wie vor einen großen Wert, doch lassen sich Dank des Internets verschiedene Produkte nun leichter vergleichen, was maßgeblich die Kaufentscheidung beeinflusst.

Facebook als Werbeplattform

Auch auf Facebook legen die Best Ager kräftig zu. Keine andere Altersgruppe verzeichnet prozentual gesehen mehr Neuregistrierungen. Somit ist das soziale Netzwerk zu einer wichtigen Werbeplattform geworden. Auf Grund der wertvollen Nutzerinformationen, die dort preisgegeben werden, können Unternehmen die Zielgruppe noch besser kennenlernen und dementsprechend gezielt werben.

Nur für „Menschen mit Erfahrung“

Viele Bestrebungen, Best Ager auf anderen neuen Plattformen zu erreichen, sind bisher nur wenig erfolgreich. Als Gegenentwurf zu Facebook wurde 2011 in München „Seniorbook“ gegründet, nach eigener Aussage „das erste wirklich soziale Netzwerk“ (www.seniorbook.de). Unter dem etwas sperrigen Slogan „Mein Heimat-Ich im Internet“ möchte die Plattform, die seit September 2012 online ist, in erster Linie den Dialog unter den Usern fördern. Angesprochen dürfen sich dabei „Menschen mit Erfahrung“ ab 45 Jahren fühlen. Diese sollen ihre Interessen mit anderen teilen, eigenes Wissen weitergeben und helfen, wenn jemand Hilfe braucht. Obendrein haben die User die Möglichkeit, auf einer für alle sichtbaren Pinnwand ihre Fotos zu veröffentlichen. Dieses stark an Pinterest erinnernde Konzept stößt unter den Nutzern von Seniorbook auf großen Anklang, besonders beliebt: Urlaubs-Schnappschüsse, Hunde beim Gassi gehen und Bilder der ersten Frühblüher. Nach drei Monaten hatten sich bei dem sozialen Netzwerk 5.000 Nutzer angemeldet. Bis die Fünf-Millionen-Grenze geknackt ist – so das Ziel von Gründer Thomas Bily –, werden wahrscheinlich schon viele weitere „Menschen mit Erfahrung“ in das potenzielle Seniorbook-Alter gekommen sein.

Sein Ziel sind fünf Millionen Nutzer, Seniorbook-Gründer Thomas Bily, © Seniorbook

Sein Ziel sind fünf Millionen Nutzer, Seniorbook-Gründer Thomas Bily, © Seniorbook

„Unglückliche Namenswahl“

„Die Bestrebungen von Seniorbook, über Werbeeinnahmen rentabel zu werden, stellen ein gängiges Modell bei sozialen Netzwerken dar“, erläutert Suna Dogangünes, „allerdings ist der Name etwas unglücklich gewählt und leider auch nicht zielgruppenorientiert an die Best Ager gerichtet. Diese werden nämlich gern mit Senioren in einen Topf geworfen, so auch bei Seniorbook.“ Tatsächlich möchte doch die Zielgruppe nicht als Senioren wahrgenommen werden. Bei internetaffinen älteren Menschen spricht man heutzutage auch gerne von Silver Surfern. Und diese brauchen kein eigenes soziales Netzwerk. „Facebook stellt eine sehr gute Werbeplattform für Unternehmen dar, insbesondere weil immer mehr ältere Menschen das soziale Netzwerk für sich entdecken. Die Werber müssen sich nur darauf einstellen“, so Dogangünes weiter.

Fußball für Jung und Alt

Dabei müssen sich Marketing- und Werbefachleute noch nicht einmal zwingend direkt an die ältere Zielgruppe richten. Teilweise kommt diese von allein. Das beweist ein Beispiel des Sportartikelherstellers Puma, dessen Kernzielgruppe altersmäßig deutlich unter den Best Agern liegt. Trotzdem beteiligten sich an dessen Facebook- und YouTube-Kampagne „Die Verschwörung“, bei der es um das neue Borussia-Dortmund-Trikot 2012/2013 ging, neben jungen auch sehr viele ältere Fußballfans. „Diese Social-Media-Kampagne hat eindrucksvoll bewiesen, dass Sport keine Altersgrenzen kennt“, erklärt Dr. Ulf Santjer, Unternehmenssprecher von Puma

Hilfestellung via Skype

Best Ager, die noch nicht ganz vertraut sind mit den weitreichenden Funktionen des Internets, finden allerdings genau dort nützliche Tipps und Hilfestellungen zu den ersten Schritten. Das Portal „Senioren lernen online“ (SLO) widmet sich beispielsweise relevanten Online-Themen und gibt Kurse via Skype. Dort lernt man unter anderem, wie man Fotos in der Cloud speichert und mit mobilen Geräten im Internet surft. Die Generation 50+ ist also auf dem Vormarsch und bewegt sich heute fast genauso selbstverständlich im Internet wie die Generation der Digital Natives. Darauf müssen sich die Marketeers einstellen und die gängigen Kommunikationskanäle überdenken. Die über 50-Jährigen erreicht man heute nicht mehr nur über Printwerbung und persönliche Gespräche. Das Internet ist Teil ihres Alltags geworden.

von Alexander Wiesner

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