„Das ‚Du’ ist der Anfang vom Ende“

Beim Radioprojekt „Prison Beat“ der Berliner Justizvollzugsanstalt Heidering prallen zwei Welten aufeinander. Fünf Inhaftierte arbeiten mit Studierenden der HMKW zusammen. Eine Bereicherung für beide Seiten.

Von Klara Niederbacher

 

JVA Heidering

Außenansicht der JVA Heidering in Großbeeren                                                                   Zeichnung: Klara Niederbacher

„Herr Pohl* zur Zentrale!“, ruft ein Mitarbeiter der geschlossenen Berliner Justizvollzugsanstalt Heidering in sein Funkgerät. Er sitzt in einem kleinen Raum, der direkt an die Teilanstalt 2 angrenzt. Seine Stimme hallt laut durch den leeren, hellen Flur. Hier holen Abé und ich den Gefangenen heute, am 2. Juni 2014, nach seinem regulären Arbeitstag als Landschaftsbauer im Gefängnis für seine Freizeitmaßnahme, das „Radio Prison Beat“, ab. Es ist Punkt halb vier Uhr. Bevor Herr Pohl freundlich lächelnd hinter einer Glastür mit der Aufschrift „T2“ erscheint, kontrolliere ich möglichst unauffällig mein Dekolleté. In einem geschlossenen Männervollzug sollte nichts an mir aufreizend sein.

Das Projekt Radio Prison Beat startete im Februar 2014 in Kooperation mit der „Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft“ (HMKW) in Berlin und hat zum Ziel, einen Radiosender von Gefangenen für Gefangene zu etablieren. Teilnehmer sind Abé, ein Radiotechniker und externer Mitarbeiter der JVA Heidering, fünf Gefangene, 12 Studierende und zwei Dozentinnen der HMKW. Koordiniert wird das Projekt seitens der JVA von einer Sozialarbeiterin. Die teilnehmenden Gefangenen konnten sich für eine Mitarbeit am Projekt bewerben und werden nicht für ihre Arbeit bezahlt. Für sie ist das Radio Prison Beat eine Freizeitmaßnahme, an der sie freiwillig teilnehmen, und eine willkommene Abwechslung im Haftalltag. Das bekommt man während der Arbeit mit ihnen deutlich zu spüren. Auch für uns Studierende ist das Projekt freiwillig. Anreize mitzumachen sind für mich die Möglichkeiten, Abläufe im Gefängnis kennenzulernen, mit Gefangenen zusammenzuarbeiten und zu erfahren, wie unterschiedlich Radio-Journalismus für Hörer in Gefangenschaft im Vergleich zu Hörern in Freiheit produziert werden muss. Unweigerlich gehört hier auch die eigene Horizonterweiterung dazu.

„Ich als Hoeneß-Verschnitt …“

Nachdem wir auch Herrn Müller* aus der Teilanstalt 3 abgeholt haben, beziehen wir unser kleines Studio. Hier wird an einem Mischpult und zwei Computern gearbeitet. Herr Pohl setzt sich sofort an einen Rechner, um seine nächste Sendung über Techno vorzubereiten. Techno ist seine Leidenschaft. Der Raum ist stickig und sehr warm, weswegen wir gleich ein Fenster öffnen. „Kann ich?“, fragt Herr Müller und die roten Lämpchen des Mischpults gehen an. Herr Müller spricht heute Texte für anstehende Info-Sendungen ein und damit er keine ungewollten Hintergrundgeräusche mit aufnimmt, warnt er uns kurz davor. Er schneidet auch die Tonspuren mit einem Audio-Bearbeitungsprogramm. Mit seinen 66 Jahren ist Herr Müller einer der ältesten Inhaftierten dieser Anstalt. Umso bemerkenswerter ist, wie schnell er sich an das Mischpult und das Schnittprogramm gewöhnt hat. Hilfe benötigt er kaum noch. Für den Fall, dass ich ihn doch irgendwie unterstützen kann, setze ich mich neben ihn. Als Abé sich zu Herrn Pohl begibt, um seine Sendung zu besprechen, legt Herr Müller die Kopfhörer ab, dreht sich zu mir und fragt „Wie alt sind Sie eigentlich? Meine Tochter ist Juristin, wissen Sie … und der Vater im Knast … wie sieht denn das aus?“ Herr Müller lächelt. Dann meint er, er sei seit zwei Jahren hier in Heidering und habe noch zwei Jahre vor sich. „Es ist ja mein erstes Mal. Na, ja. Ich habe halt dem Staat geschadet, nicht. Ich als Hoeneß-Verschnitt …“

Herr Müller*

Der projektbeteiligte Gefangene, Herr Müller*                                                                      Zeichnung: Klara Niederbacher

Aus Datenschutzgründen wurde uns am Anfang des Projektes nicht gesagt, weshalb die Gefangenen, mit denen wir arbeiten, inhaftiert sind. Es ist den Gefangenen überlassen, ob sie darüber sprechen wollen oder nicht. Privates erzählen sie meistens nur, wenn Abé, die Dozentinnen oder die Sozialarbeiterin gerade nicht in Hörweite sind. Manchen rutscht dabei ein „Du“ heraus, das sie aber sofort wieder zurück nehmen, weil das Duzen zwischen uns und den Gefangenen verboten ist. Die Sozialarbeiterin hat einmal gesagt: „Das Du ist der Anfang vom Ende.“

Das Programm des Radio Prison Beat und die Inhalte der Sendungen werden von den Gefangenen geplant und produziert. Dazu gehören Musik-Sendungen unterschiedlicher Genres, ein Info-Block mit Wissenswertem und anstaltsinternen Angelegenheiten, Comedy-Sendungen und Hörbücher. Derzeit gibt es noch einen größeren Musik- als Wortanteil, was sich mit der Zeit und der Übung der Gefangenen aber ändern soll. Ausgestrahlt wird das Radio über einen Kanal auf den Fernsehgeräten in den Hafträumen, wodurch die Hörerschaft aus theoretisch 648 Gefangenen bestehen kann. Technisch werden die radiomachenden Gefangenen von Abé unterstützt, während wir Studierenden und die zwei Dozentinnen für die inhaltliche und fachliche Unterstützung, verantwortlich sind. Wir recherchieren benötigte Informationen für die Gefangenen, da ihnen Recherchemittel, wie das Internet, nicht zur Verfügung stehen. Etwa drei Mal in der Woche treffen sich drei oder vier Gefangene etappenweise mit Abé im Studio um zu arbeiten. Bei diesen Treffen sind meistens ein bis zwei Studierende anwesend, um die Gefangenen zu unterstützen. Monatlich finden außerdem Redaktionssitzungen in der JVA statt, bei denen alle Projektbeteiligten anwesend sind.

Von Gefangenen für Gefangene

Herr Müller scheint es zu genießen, sich mit mir zu unterhalten. Für ihn bin ich ein „normaler Mensch“. So hat er Personen bezeichnet, die nicht in der JVA tätig sind. „Ach was erzähle ich ihnen da …“, meint er plötzlich, lächelt und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.

In deutschen Justizvollzugsanstalten gab es bereits ähnliche Radioprojekte, bei denen die Sendungen von Gefangenen mit der Unterstützung von Journalisten oder Medienpädagogen produziert wurden. Allerdings waren diese zum Teil aus finanziellen Gründen zeitlich befristet. Das Radio Prison Beat wird von der JVA finanziert und könnte, abhängig vom Erfolg des Projektes, Jahre andauern. Laut der projektverantwortlichen Sozialarbeiterin könnten interessierte, beteiligte Studierende nach ihrem Studium sogar die Chance bekommen, auf Honorarbasis am Projekt weiterzuarbeiten. Der Fokus des Radio Prison Beat liegt auf der Berichterstattung von Gefangenen für Gefangene. Radioprojekte anderer deutscher JVAen konzentrierten sich bisher auf die Berichterstattung Inhaftierter für die Öffentlichkeit. Beispiele hierfür sind das „Knastradio Inside“ der JVA Schwäbisch Hall, welches von 2009 bis 2011 produziert und im freien Radio „StHörfunk“ übertragen wurde, und das „Knast – Radio: Ein Blick hinter die Mauern“ aus Hameln in Niedersachsen. Dieses war ein gemeinschaftliches Projekt des lokalen Radiosenders „Radio Aktiv“ und der geschlossenen Jugendanstalt Hameln von 2000 bis 2002.

Gegen 18 Uhr muss Herr Pohl wieder zurück in seinen Haftraum gebracht werden und ein dritter Gefangener, Herr Nowak*, beginnt seine Arbeit beim Anstaltsradio. Er begrüßt mich freundlich, bedankt sich für meine mitgebrachten Recherchen und macht sich sofort ans Werk. Er ist einer der Fleißigsten und Schnellsten am Computer. Nur mit der Rechtschreibung braucht er etwas Hilfe. „Wie schreibt man Känguru?“, fragt er und tippt K-Ä-N-G-E-R-U-H. Ich schaue auf die Wanduhr. Noch ungefähr eineinhalb Stunden, dann heißt es wieder raus ins Freie zu den „normalen Menschen“.

 

*Name wurde geändert 


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