von Rosanna Steppat
Ein halbes Jahrhundert ist es gerade einmal her, dass im Deutschen Grundgesetz Änderungen hinsichtlich der Sexualethik der Frau vorgenommen wurden. Das bedeutet, dass der Frau das Recht zugesprochen wurde frei über ihren Körper, Lebensplanung und Kinderwunsch zu entscheiden. Was uns am Anfang des 21. Jahrhunderts, in Zeiten der scheinbar völligen Gleichberechtigung von Mann und Frau, als total normal erscheint, musste von Feministinnen in den 60er Jahren hart erkämpft werden. Im folgenden Essay soll die Frage erörtert werden, ob sich das Idealbild der Wahrnehmung der Frau von damals bis heute hat erhalten können, was der Begriff Feminismus eigentlich bedeutet und welche Rolle die Medien der westlichen Welt in der Sexismus- Debatte dabei einnehmen. Nicht abzustreiten bleibt die Tatsache, dass sich seit der zweiten Emanzipations- Bewegung durch die Publizistin Alice Schwarzer, eine Menge für die Frau in unserer Gesellschaft zum Positiven geändert hat. Doch sind die Änderungen wirklich so einschneidend, wie immer grundlegend behauptet wird? Oder entsprechen sie doch mehr einem Idealbild, das jedoch immer noch mehr in der Theorie als in der Praxis existiert?
Die Freiheit des Individuums war auch in Deutschland bis vor wenigen Jahrzehnten noch abhängig vom Geschlecht. Heute können Frauen in Deutschland selbstbestimmt ihr Leben gestalten, was ihre Berufswahl und Familienplanung betrifft. Das ist eine Entwicklung, für die man dankbar sein kann. Leider erhält man jedoch den Eindruck, dass genderspezifisch noch immer zu stark stereotypisiert wird und Vorurteile das Bild prägen. Zum Beispiel gilt es weiterhin als Ausnahme und reichlich erwähnenswert, wenn eine Frau in ein höheres öffentliches Amt gewählt wird, sei es in Politik oder Wirtschaft. Zeigen Diskussionen über eine gesetzlich festgelegte Frauenquote beispielsweise nicht, wieweit wir von einer tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau entfernt sind? Würde man morgen eine Umfrage starten, ob man Frauen die gleichen Kompetenzen in wichtigen Entscheidungsangelegenheiten und Führungsfragen zuschreiben würde, wäre die dominierende Meinung sicherlich „Ja“. Würde man die Umfrage jedoch anonymisiert durchführen, wäre bestimmt zu verzeichnen, dass die gesellschaftliche Rolle der Frau doch eher noch einem gut gemeinten Idealbild entspricht…
Feministinnen wie Alice Schwarzer behaupten, die Geschlechterordnung sei in den späten 1960er Jahren revolutioniert worden. Die Problematik dabei ist, dass es zwar ethisch richtig ist, für die sexuelle Gleichstellung der Frau einzustehen, wer jedoch das grundsätzliche Wesen von Mann und Frau studiert hat, und einmal mit einem wachsamen Auge auf die öffentlichen Medien schaut, bei dem dürften Zweifel darüber aufkommen, ob die gegenwärtige Darstellung des weiblichen Geschlechts in der Öffentlichkeit den Wünschen und Vorstellungen der Frauen entspricht. Gewinnt man dort nicht den Eindruck einer Doppelmoral? Hat die Emanzipations- Bewegung hierzulande wirklich erreicht, was sie wollte?
In der europäischen Musikindustrie sowie in der Werbebranche hat sich das Credo „Sex sells“ längst durchgesetzt. Man hat den Eindruck, dass die Kunst als eigentliches Produkt bei dem Großteil der begabten Künstlerinnen in den Hintergrund tritt. Stattdessen kommt es einem so vor, als wenn die Frau dem Produkt gleichgesetzt wird. Ein Musikstück beispielsweise, das sich eigentlich als Gesamtkunstwerk aus musikalischer Schöpfung und visueller Darstellung verkaufen sollte, wird vermehrt durch pornographische Darstellungen der Künstlerin oder anderen weiblichen Protagonistinnen in dem Musikvideo banalisiert. Das hat sehr wenig mit Respekt vor einer ernstzunehmenden künstlerischen Leistung zu tun. Dabei drängt sich einem die Frage auf, worum es hierbei wirklich geht.
Die Medienindustrie des 21. Jahrhunderts degradiert Frauen vermehrt zu Lustobjekten. Ein unverhältnismäßig großer Fokus liegt auf dem äußeren Erscheinungsbild. Die britische Sängerin Adèle war im vergangenen Jahr nicht erstrangig wegen ihres einzigartigen gesanglichen Talents Thema in den Medien, sondern wegen ihres vermeintlich zu hohen Körpergewichts. Werte wie Diversität und Authentizität scheinen in diesem Zusammenhang keine große Wichtigkeit mehr zuzukommen. Voraussetzung für Erfolg und vor allem gesellschaftliche Anerkennung ist, dass man einem „ästhetischen“ Idealbild entspricht, so scheint es. Dabei übt die Gesellschaft in erster Linie Druck auf das weibliche Geschlecht aus, einer bestimmten Norm zu entsprechen. Männern scheint das Toleranz- Spektrum viel größer zu sein. Man beginnt sich zu fragen, Wie man die geschlechtsspezifische Mentalität einer Gesellschaft bewerten soll, deren Werte so eine ungerechtfertigt, oberflächliche Basis zu haben scheinen.
Schlagzeilen über die Sängerin Adele
Zudem leben wir im medialen Zeitalter. Durch die Technisierung der vergangenen 20 Jahre, sind Medien für uns allgegenwärtig präsent. Spätestens seit sich Smartphones und soziale Netzwerke in unser tägliches Leben integriert haben, kann man sich dem Einfluss der Medien kaum noch entziehen. Dabei scheinen die Grenzen von Realität und Idealismus zu verschwimmen. Die Industrie erschafft mittels technischer Innovation unnatürliche, perfektionistische Idealbilder von Menschen. Wer in diesem Zusammenhang die Hauptleidtragenden sind? Die Frauen.
Der voranschreitende Trend der Konvergenz in der Medienindustrie macht das durchdachte und effektive Bewerben eines Produkts immer wichtiger. In immer mehr Fällen werden Produkte durch die Assoziation mit sexuell attraktiven Frauen vermarktet – und das funktioniert. Denn Aufmerksamkeit ist die Währung unseres Zeitalters, die Währung in einer digitalisierten Welt. Nicht selten wird dabei der Eindruck erweckt, dass die werbenden Frauen selber auf eine Produktebene gerückt werden. Sexuelle Unterwürfigkeit und eine dienende, passive Haltung werden als positiv und erstrebenswert hingestellt. Das erweckt den Anschein, dass die Gleichstellung des weiblichen Geschlechts eher wieder einem rückläufigen Trend unterliegt. Alles hat den Anschein, als wenn die modernen Medien dabei sind das Bild der modernen Frau zu entfremden, das eigentlich alle Formen von Sexismus verpönt und die Gleichberechtigung und vor allem die Würde des weiblichen Geschlechts über alles stellt. Der Grundgedanke des Feminismus scheint mit dem Einzug in das mediale Zeitalter vergessen worden zu sein.
Es ist immer wieder verwunderlich, wo in der Gesellschaft vermeintlicher Sexismus wahrgenommen wird, und an welchen Stellen pornographische, abwertende Darstellungen und Inhalte von Frauen als normal angesehen werden, sozusagen „in der Natur der Sache“ liegen. Denkt man z.B. an die Sexismus- Debatte, die der Politiker Rainer Brüderle durch einen unüberlegten Kommentar einer Journalistin gegenüber, vergangenes Jahr, auslöste. Dass dieser Vorfall eine solch große mediale Aufruhr provozierte, und scheinbar bei dem Großteil der „modern“ eingestellten Menschen für Empörung sorgte, ist, denkt man an das von den Medien konstruierte Bild der perfekten Frau, ziemlich lachhaft. In den Medien und der Werbebranche scheint sich eine Art Grund- Sexismus etabliert zu haben, der von den Wenigsten noch kritisch wahrgenommen wird. Vielmehr scheint es normal geworden zu sein, die Frau als Sexsymbol für die Industrie zu instrumentalisieren. Würden sonst nicht viel öfter kritische Stimmen in den Medien darüber laut werden?
„The Representation Project“ ist eine Internet- Bewegung, die sich gegen die geschlechtsspezifische Stereotypisierung von Mann und Frau weltweit einsetzt. Ein Großteil ihrer Arbeit greift die einseitige, sexistische Darstellung der Frau in den Medien der westlichen Welt auf. Die Vereinigung entstand in 2011, doch erst Ende 2013 erreichte sie die gewünschte Aufmerksamkeit, und namhafte Medien wurden auf sie aufmerksam. Ihre Videos machen Gänsehaut und regen zum Nachdenken an, weil sie eine unausgesprochene Wahrheit unserer Zeit abbilden.
Vor 10 Jahren kam ein Mann bei einem Autounfall tragisch ums Leben, der meinem Empfinden nach den Begriff des Feminismus von heute stark geprägt, wenn nicht neu definiert hat. Die Rede ist von dem Berliner Fotografen Helmut Newton. Als Meister der Aktfotografie polarisierte er seinerzeit und post mortem weltweit, blieb jedoch in den Köpfen der meisten Menschen als wahrer Könner seiner Zunft erhalten. Obwohl er zumeist nackte Frauen in lasziven Posen ablichtete, lassen sich seine Abbildungen kaum mit heute existierenden Darstellungen weiblicher „Erotik“ vergleichen. Wer die Helmut Newton Ausstellung am Zoo besucht und aufmerksam sowie kritisch dessen Werke in Augenschein nimmt, dem wird die Nacktheit der Damen wohl erst im zweiten Hinsehen auffallen, so voller Ausdruck und Leben scheinen ihre Gesichter und die gewählten Inszenierungen zu sein. Doch natürlich sahen das längst nicht alle so und so wurde im Jahr 1993, seitens Alice Schwarzer persönlich, Kritik an Newtons Photographien laut. Seine Arbeiten seien „sexistisch“, „rassistisch“ und sogar „faschistisch“. Die Frauenrechtlerin ließ damals die ihrer Meinung nach umstrittensten Bilder Newtons in ihrer Zeitschrift „Emma“ abdrucken, um die Öffentlichkeit auf diesen Fauxpas aufmerksam zu machen. Dies brachte ihr in erster Linie einen Rechtsstreit um Urheberrechte ein.
Aber es gab auch diejenigen, die in Newtons Bildern etwas sahen, was man als eine moderne Form von Feminismus bezeichnen kann. Stolz, Würde und Charakter des weiblichen Geschlechts abzubilden, obgleich die Nacktheit klar im Mittelpunkt des Bildes steht. Die angesehene Kunstkritikerin Noemi Smolik sagte über Helmut Newtons Bilder nach seinem Tod, sie seien von einer „kaum ergründbaren Zeitlosigkeit“. Das ist interessant, wenn man bedenkt, dass Newtons Modells stets unbekleidet daher kamen, und es wirft die berechtigte Frage auf, ob Nacktheit immer gleich mit Sexismus gleichzusetzen ist. Ich denke, dass der Grat zwischen sexistischer und würdevoller Darstellung von weiblicher Nacktheit oft ein schmaler ist. Es hängt davon ab, ob der Künstler den notwendigen Blick fürs Detail beweist. Ansonsten wirken derartige Darstellungen schnell plump und herabwürdigend. Helmut Newton ging es wohl darum, der Schönheit des weiblichen Körpers zu huldigen, doch die Nacktheit nicht in den Fokus zu stellen. Durch Detailverliebtheit bildete er Persönlichkeiten ab; durch die Kunst, die jedem seiner Bilder zugrunde liegt, schmeichelte er dem weiblichen Geschlecht.
Der Geist unseres technologischen Zeitalters steht dem Gedanken der konsequenten Gender- Gleichstellung streng genommen entgegen. Viel zu groß ist das Datenvolumen an untransparenten und unkontrollierbaren Inhalten. Das grundlegende Bewusstsein für die Gleichstellung der Frau in allen gesellschaftlichen Belangen ist in den Köpfen der meisten erhalten geblieben. Doch die Medien, die heute durch ihre Omnipräsenz einen größeren Einfluss denn je auf uns haben, suggerieren uns ein anderes Bild und beeinflussen unbewusst unsere Wahrnehmung. Es ist sehr schwer sich dieser Einflüsse zu entziehen und den Sachverhalt mit einer gewissen Objektivität anzugehen. Der deutsche Aphoristiker und Literat Jürgen Wilbert bemerkte zum Geist des technologisierten Jahrhunderts: „Der Fortschritt im Computer- Zeitalter: Erst wird die Handarbeit, dann die Kopfarbeit ad acta gelegt.“ Das soll wohl aussagen, dass es mal eine Zeit gab, in der sich die Gesellschaft weniger gefallen ließ und Inhalte kritischer auseinandernahm. Vielleicht gibt es heute auch einfach zu viele Inhalte, die es schwierig machen sich ein klares, verallgemeinerndes Urteil zu bilden. Die Macht der Medien hat die Sexismus- Debatte von heute geschwächt. Umso mehr sollten wir versuchen uns in Erinnerung zu rufen, was einmal der Grundgedanke dieser Debatte war und mit einem kritischen Auge auf das schauen, was uns die Medien servieren. Dann sind wir denke ich auf einem guten Weg.