Zukunftsträchtig?: Journalismus mit Unterstützung der „Crowd“

Crowdsourcing 2 mit Copyright

Wie sieht er aus? Der Journalismus, der eine Zukunft hat? Ein Journalismus, der sowohl genügend Zeit für Recherche als auch Platz für Nischenthemen bietet? Ein Journalismus, der sowohl genügend Geld für eine ausführliche Berichterstattung als auch für das Gehalt der Mitarbeiter zur Verfügung hat?

von Mailin Bartknecht

Journalismus soll informieren, aufklären und bilden. Er berichtet über lokale, nationale und internationale Geschehnisse – über Neuigkeiten und altbekannte Probleme. Je nach Betroffenheit sollen dabei möglichst viele Interessen abgedeckt werden.

So weit, so gut. Allerdings gibt es viele Probleme und Hindernisse. Gerade, wenn es darum geht, über welche Themen berichtet werden soll und in welchem Umfang dafür recherchiert werden kann und darf. Oft fehlen Zeit und Geld für ausführliche Recherchen. Nischenthemen werden gar nicht erst behandelt oder haben keine passende Plattform, sodass sie keine breitere Masse erreichen können.

Mit der Unterstützung der Vielen

(Freie) Journalisten, die diese Probleme umgehen wollen, haben es schwer. Denn sie sind abhängig von Sendern, Medienhäusern und Verlagen. Mit der Zeit des Internets und einer global fast flächendeckenden Vernetzung eröffnen sich allerdings neue Möglichkeiten. Das Netz bietet eine Plattform, die für fast alle zugängig ist und eine Beteiligung und somit Unterstützung von „außen“ möglich macht. „Außen“, damit ist in dem Fall die sogenannte „Crowd“ gemeint – die Masse. Die Rede ist vom „Crowdsourcing“, zusammengesetzt aus den Worten „Crowd“ und „Outsourcing“.1 Bei diesem Vorgang werden also Aufgaben nach außen, auf die breite Masse „verlagert“. Bei journalistischen Crowdsourcing-Projekten werden die Internetnutzer beispielsweise dazu aufgerufen, Ideen für zu behandelnde Themen vorzuschlagen. Eine neue Form des Journalismus, bei dem die Rezipienten aktiv mitwirken können. Die Plattform dazu bietet meist ein Blog, der von Journalisten ins Leben gerufen wurde und als Präsentationskanal ihrer Arbeit dient. Ein Mehrwert für beide Seiten: Die Nutzer/Rezipienten werden über Themen informiert, an denen sie interessiert und von denen sie betroffen sind. Die Journalisten erhalten die Chance, über Themen zu berichten, die nicht nur für die Medien, sondern auch für einzelne Teile der Bevölkerung relevant sind. Somit werden auch Nischenthemen nicht außen vorgelassen.

Eine Unterkategorie des „Crowdsourcing“ ist das „Crowdfunding“, welches die Finanzierung eines Projektes durch die Internetnutzer beinhaltet.2 Ein bekanntes Beispiel dafür sind die „Krautreporter“. Das Online-Magazin sammelte 900.000 Euro3, um ihren Nutzern intensiv recherchierte Reportagen, Porträts und Artikel bieten zu können, für die im heutigen Journalismus oft die Zeit und das Geld fehlt. Durch die Finanzierung der Nutzer wird außerdem gewährleistet, dass keinerlei Werbung auf der Seite geschaltet werden muss.4

„Crowdsourcing“ im Unternehmensbereich

Das Phänomen „Crowdsourcing“ ist noch nicht alt. Geprägt wurde der Begriff 2006 durch Jeff Howe in seinem Wired-Artikel „The Rise of Crowdsourcing“.5 Gut etabliert hat sich „Crowdsourcing“ vor allem im Unternehmensbereich. Firmen profitieren von innovativen Ideen in der Produktentwicklung, die von der „Crowd“ generiert werden. Durch das aktive Einbinden der Kunden wird zudem eine höhere Bindung an das jeweilige Produkt sowie eine Identifikation mit der Marke erreicht. So forderte beispielsweise McDonald’s seine Kunden 2012 dazu auf, ihre eigenen Burger zu kreieren.6 Haribo brachte 2014 die erste Goldbären Fan-Edition auf den Markt, für die die Fans entscheiden sollten, welche sechs Geschmacksrichtungen in die Goldbären-Tüte kamen.7 Auch Coca-Cola nutzte vor nicht allzu langer Zeit das „Crowdsourcing“ für sich. Von August bis Oktober 2014 waren die Konsumenten beim Ideenwettbewerb „Fanta Fantasie“ dazu aufgerufen, neue Fanta-Etiketten zu gestalten.8

„Crowdsourcing“ kann also als eine virtuelle Wertschöpfungskette angesehen werden, die auf die Kraft der Vielen setzt9, die Intelligenz der Masse. Neben dem Innovationspotenzial ist es im Unternehmensbereich ein wertvolles Marketinginstrument, z.B. zur Kundenbindung. Im Journalismus bringt es vor allem die Vorzüge mit sich, einen neuen, freieren Journalismus etablieren zu können.

Aktuelle ProjekteCrowdspondent Header
© Lisa Altmeier, Steffi Fetz, Quelle: http://crowdspondent.de/wp-content/uploads/2014/04/Header-fb-e1398895565697.jpg, Zugriff am 19.01.2015

Mittlerweile gibt es mehrere interessante journalistische Projekte, die im Netz zu finden sind; beispielsweise der „Crowdspondent“-Blog der jungen Journalistinnen Steffi Fetz und Lisa Altmeier. Die Beiden starteten ihr Projekt 2013 und reisten als Auslandsreporterinnen nach Brasilien, um über die Veränderungen im Land vor einer Fußball-WM zu berichten.10 Bei Twitter machten sie kurz und knapp auf ihr Anliegen aufmerksam: „Wir hauen ab. Für euch. Nach #Brasilien. Ins WM-Land 2014. Wen kennt ihr da? Was wollt ihr wissen? Wo sollen wir hin? Schreibt @crowdspondent„.11 Im letzten Jahr ging es dann quer durch Deutschland. Auch hier befragten sie die „Crowd“ nach interessanten Geschichten, über die sie berichten sollten. Über die „Crowdfunding“-Plattform „startnext“ sammelten sie 5346 Euro12 und konnten so ihre Reporterarbeit durch Deutschland finanzieren. In Videos, Kolumnen und Artikeln berichten die Journalistinnen den Blog-Usern von ihren Reisen. Durch die Mitarbeit der „Crowd“ wurde auch über Themen berichtet, die gerade „nicht dem allgemeinen Trend entsprechen und in der klassischen Berichterstattung vernachlässigt werden“.13 Als Dankeschön verschickten sie Recherche-Souvenirs und Jutebeutel an ihre Unterstützer.14 Mittlerweile wurden schon mehrere Radiobeiträge, Texte und Filme der Beiden auf verschiedenen Medien publiziert, wie z.B. im ZDF, in der ARD, bei der Süddeutschen Zeitung und auf ZEIT Online.15 Vom Medium Magazin wurden sie für ihre Berichterstattung aus Brasilien 2013 als „Top 30 bis 30“16 ausgezeichnet. Dieser Preis umfasst die Liste der 30 besten Jungjournalisten Deutschlands.17

Ein weiteres, sehr aktuelles Projekt, das momentan noch in den Kinderschuhen steckt, ist die Online-Plattform „Der Sender“. Die Initiatoren wollen einen genossenschaftlichen Sender gründen, um eine „gemeinschaftlich finanzierte, unabhängige Plattform für zukunftsweisenden Journalismus“18 zu bieten. Vorab wollen sie Spenden per „Crowdfunding“ sammeln. Den Nutzern solle die Möglichkeit gegeben werden, sich in fundamentalen Fragen am Unternehmen beteiligen zu können19, so Philip Banse, einer der Initiatoren, in einem Meedia.de-Interview. Der redaktionelle Einfluss solle jedoch begrenzt werden.20 „Der Sender“ wird weder Radio noch Fernsehen sein, sondern „Audio, Video, Fotos, Visualisierungen und Text, sinnvoll verbunden und schön verpackt.“21 So möchte die Plattform die Freiheit haben, mit Formaten und Technik zu experimentieren und nicht den jeweiligen Gattungen verschrieben zu sein.22

Der Sender.org ScreenshotQuelle: http://dersender.org/, Zugriff am 19.01.2015

Bessere Chancen für innovativen Journalismus?

So wie es aussieht, eröffnet das „Crowdsourcing“ bzw. „Crowdfunding“ dem Journalismus neue Möglichkeiten. Es bietet die Chance, unabhängig zu arbeiten und innovativ zu sein. Weg von Themen, die ausschließlich dem „Mainstream“ folgen, Platz für Nischenthemen und neue Formate, Gattungen und Genres. Dabei bieten sich Blogs als geeignete Präsentations- und Kommunikationskanäle an. Allerdings erfordern solche Projekte die aktive Unterstützung der „Crowd“, welche mit viel Zeit und Geduld verbunden sein kann, ehe das Projekt richtig in Gang kommt und sich Journalisten dadurch ihr Brot verdienen können. Die neuen Möglichkeiten, die geboten werden, sind dennoch besser ausschöpfbar, als sie es in fest gefahrenen Strukturen von Sendern und Verlagen sind. Erfolge werden nicht mehr extern an Einschaltquoten und Leserzahlen ermittelt, die es den Sendern und Verlagen oftmals so schwer machen, aus diesen festgefahrenen Strukturen zu entkommen und Neues zu wagen und verwirklichen. Vielmehr erhalten Journalisten durch ihre „Crowd“ ein direktes Feedback, sodass sie sich auf deren Erwartungen und Interessen einstellen können. Ob sich der Journalismus durch die neuen Möglichkeiten selbst reformiert, bleibt abzuwarten.

  1. Vgl.: http://meedia.de/2014/08/05/der-journalismus-und-die-crowd-die-8-spannendsten-projekte/, Zugriffsdatum 18.01.2015.  
  2. Vgl.: http://meedia.de/2014/08/05/der-journalismus-und-die-crowd-die-8-spannendsten-projekte/, Zugriffsdatum 18.01.2015  
  3. Vgl.: http://meedia.de/2014/08/05/der-journalismus-und-die-crowd-die-8-spannendsten-projekte/, Zugriffsdatum 18.01.2015  
  4. Vgl.: https://krautreporter.de/pages/ueber_uns/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  5. Vgl.: http://meedia.de/2014/08/05/der-journalismus-und-die-crowd-die-8-spannendsten-projekte/, Zugriffsdatum 18.01.2015  
  6. Vgl.: http://www.wuv.de/agenturen/mcdonald_s_der_effie_case_in_gold, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  7. Vgl.: http://www.tiki-toki.com/timeline/entry/201227/Crowdsourcing-in-der-Produktentwicklung#vars!date=2014-03-14_12:49:36!, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  8. Vgl.: http://www.tiki-toki.com/timeline/entry/201227/Crowdsourcing-in-der-Produktentwicklung#vars!date=2014-08-07_19:34:44!, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  9. Vgl.: http://www.socialnetworkstrategien.de/2010/07/crowdsourcing-mehrwerte-chancen-definition/), Zugriffsdatum 19.01.2015  
  10. Vgl.: http://crowdspondent.de/uber-das-projekt/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  11. Vgl.: http://crowdspondent.de/uber-das-projekt/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  12. Vgl.: http://crowdspondent.de/2014/12/25/jetzt-gibts-geschenke/#more-2159, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  13. Vgl.: http://crowdspondent.de/uber-das-projekt/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  14. Vgl.: http://crowdspondent.de/2014/12/25/jetzt-gibts-geschenke/#more-2159, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  15. Vgl.: http://crowdspondent.de/uber-das-projekt/uber-uns/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  16. Vgl.: http://www.mediummagazin.de/mm-special/die-top-30-bis-30-2013/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  17. Vgl.: http://crowdspondent.de/uber-das-projekt/uber-uns/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  18. Vgl.: http://dersender.org/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  19. Vgl.: http://meedia.de/2015/01/16/der-sender-journalisten-wollen-alternative-medienplattform-gruenden/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  20. Vgl.: http://meedia.de/2015/01/16/der-sender-journalisten-wollen-alternative-medienplattform-gruenden/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  21. Vgl.: http://dersender.org/, Zugriffsdatum 19.01.2015  
  22. Vgl.: http://meedia.de/2015/01/16/der-sender-journalisten-wollen-alternative-medienplattform-gruenden/, Zugriffsdatum 19.01.2015