Schluss mit Rentner-Kutsche

Die Neuauflage eines Automobilmodells stellt so ziemlich jeden Hersteller immer wieder vor große Herausforderungen. Das Auto muss zeitgemäß aussehen, aber dennoch an das Vorgängermodell erinnern. Es sollte genügend Fahrspaß bieten, aber nicht zu viel verbrauchen. Das einzige, was sich jedoch selten ändert, ist die Zielgruppe. Oder? Mercedes-Benz macht mit seiner neuen A-Klasse deutlich, wie es gelingen kann, eine ganz neue Käuferschicht anzusprechen, vor allem durch den gezielten Einsatz von Mobilem Marketing.

Die neue A-Klasse, © Daimler

Die neue A-Klasse, © Daimler

von Alexander Wiesner

Hausfrauen-Mercedes, Rentner-Kutsche, Benz für Arme … die A-Klasse musste sich in den vergangenen Jahren viel Spott gefallen lassen. Schon zum Marktstart im Jahr 1997 machten die Schwaben eher unfreiwillig auf ihr neues Modell aufmerksam. Nach dem missglückten Elchtest in der schwedischen Provinz ging die A-Klasse nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt durch die Presse. Das kratzte natürlich an Daimlers bis dato unangefochtenem Image als Premium-Hersteller. Dennoch entwickelte sich der Minivan in den Folgejahren zu einem absoluten Verkaufsschlager und öffnete die Marke dank moderater Einstiegspreise nun erstmalig für Normalverdiener. Angesichts dieses Erfolgs konnte es der Konzern auch gut verkraften, dass nicht junge Familien – wie ursprünglich geplant –, sondern hauptsächlich Rentner zu den Käufern zählten.

„Ein klares Statement zur neuen Dynamik der Marke“

Abgesehen von einem wenig markanten Facelift im Jahr 2004 wurde das Ursprungsmodell der A-Klasse bis 2012 in Serie gefertigt. Groß war dann die Überraschung, als der Hersteller im letzten Jahr auf dem Genfer Automobilsalon die nächste Generation der A-Klasse vorstellte. Für Autoexperte Willi Diez bedeutete die Neuauflage sogar die „wichtigste Produktneuerung von Mercedes in den vergangenen 10 bis 15 Jahren“ 1. Daimler-Chef Dr. Dieter Zetsche selbst nannte die neue A-Klasse „ein klares Statement zur neuen Dynamik der Marke“2. Schnell wurde deutlich, dass Mercedes damit endlich eine junge Kundschaft in die Verkaufsräume locken wollte. So etwas gelingt allerdings nicht allein über modernes Design und iPhone-Integration im Auto. Die Herausforderung bestand vielmehr darin, die potenziellen Käufer auf den richtigen Kanälen zu erreichen.

Die neue Zielgruppe ist „always on“

Über das Multimedia-System COMAND Online integriert die A-Klasse soziale Netzwerke wie Facebook, © Daimler

Über das Multimedia-System COMAND Online integriert die A-Klasse soziale Netzwerke wie Facebook, © Daimler

Laut Daimler-Marketingchef Joachim Schmidt ist die „Persona“, also Daimlers Wunschkäufer der neuen A-Klasse, Anfang 30, liest wenig Zeitung, schaut kaum Fernsehen und ist „always on“3. Da lag es nahe, dass sich Mercedes schon vor der Markteinführung im vergangenen September verstärkt auf mobile Marketing-Aktivitäten konzentrierte, um potenzielle Käufer auf das neue Modell aufmerksam zu machen. Ein besonders kreatives Beispiel war die „A-Klasse QR-Trophy“ im Februar 2012, entwickelt von der Mercedes-Stammagentur Jung von Matt/Alster. Wie jeder Automobilhersteller testete Mercedes vor der Modelleinführung die Beständigkeit und Ausdauer des neuen Wagens mit Hilfe sogenannter Erlkönige; das sind Testwagen, die weit mehr als 100.000 Kilometer fahren und somit die Laufleistung der Motoren und anderer Teile vorab auf Probe stellen. Meist sind diese Autos mit schwarz-weißer Folie abgeklebt, um nicht zu viel vom endgültigen Look zu verraten und somit die Spannung auf das kommende Modell aufrechtzuerhalten. Auch Mercedes klebte seine A-Klasse-Testwagen ab, nutzte diese aber zusätzlich geschickt als Werbeträger. Anstatt normaler Folie wurden nämlich QR-Codes verwendet. Zur gleichen Zeit rief Mercedes über seine Social Media Kanäle zur Teilnahme an der Aktion „A-Klasse QR-Trophy“ auf. Im Kern handelte es sich dabei um ein Gewinnspiel, dessen Ziel es war, vier verschiedene Badges zu sammeln. Diese verbargen sich hinter den QR-Codes auf den Erlkönigen, aber auch in Print- und Online-Medien sowie bei Facebook, Twitter und auf weiteren Online-Plattformen. Mit dem Scan eines Codes wurde man direkt zu einer mobilen App geleitet. Nach einer kurzen Registrierung nahm man automatisch an dem Gewinnspiel teil. Drei der vier Badges wurden über den Scan eines QR-Codes aktiviert. Den vierten erhielt man schließlich über die Share-Funktion in einem seiner sozialen Netzwerke. Der Hauptpreis war eine Reise zur Weltpremiere der A-Klasse auf dem Genfer Automobilsalon im März 2012.

Hoher Werbeeffekt durch Erlkönige und Smartphones

Mit der „A-Klasse QR-Trophy“ betrat Mercedes rein technisch gesehen kein unbekanntes Gebiet. Beispielhaft ist allerdings, wie es dem Hersteller gelungen ist, mit den vorhandenen mobilen Devices in seiner Kernzielgruppe, welche nahezu flächendeckend mit Smartphones ausgestattet ist, und seinen Erlkönigen, die so oder so auf die Straße gemusst hätten, einen hohen Werbeeffekt zu erzielen. Insbesondere der letzte Schritt der Share-Funktion dürfte dabei für eine besonders hohe Viralität gesorgt haben. Ein Incentive wie die Einladung zur Weltpremiere der neuen A-Klasse animiert natürlich noch einmal weitere Teilnehmer.


[Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=V5yrunwIzEI, Zugriff: 17.07.13]

Nutzererlebnis im Vordergrund

Dass die „QR-Trophy“ keine einmalige Aktion war, sondern erst der Auftakt einer breit angelegten digitalen Offensive bewies Mercedes kurze Zeit später. So launchte der Konzern zeitgleich mit der Weltpremiere am 5. März 2012 eine interaktive Online-Plattform, auf der sich alles um die neue A-Klasse drehen sollte. Der Verkauf war dabei nur ein sekundäres Ziel. Vielmehr ging es darum, das Auto interaktiv erlebbar zu machen. So wurde die Plattform passend zur Zielgruppe für Smartphones und Tablets optimiert. „ … Mercedes-Benz [wird] nicht nur den Ansprüchen und Bedürfnissen jüngerer Zielgruppen gerecht, sondern setzt auch nachhaltig auf ein innovatives und geräteunabhängiges Nutzererlebnis …“, so Anders-Sundt Jensen, damaliger Leiter Markenkommunikation von Mercedes-Benz4. Unter anderem war es den Usern möglich, über die Plattform per Live-Kameras am Genfer Automobilsalon teilzuhaben. Auf Wunsch konnte man sich über sogenannte „A-Guides“ (Mitarbeiter vor Ort) Exterieur- wie Interieur-Details via iPad-Kamera zeigen lassen. Mit diesem Feature trat Daimler also direkt mit seinen potenziellen Käufern und Interessenten in Kontakt und präsentierte sich somit als „Marke zum Anfassen“. Gerade bei einem traditionellen Hersteller, der oft mit konservativen Werten und Tradition in Verbindung gebracht wird, ist es heutzutage zwingend erforderlich, dass er mit seinen jungen Kunden über das Internet direkt in Dialog tritt.

„Das neue A“

Ein schönes und kreatives Beispiel, wie man seine Zielgruppe regional erreicht, zeigte das Autohaus Kunzmann in Aschaffenburg. In Zusammenarbeit mit einer lokalen Werbeagentur entwickelten Markus Gold, Leiter E-Business, und Thomas Henze, Marketingleiter, die Kampagne „Das neue A“. Die Tatsache, dass Anfang 2012 noch niemand wusste, wie die neue Generation der A-Klasse aussehen werde, sollte dabei kein Hindernis darstellen. Schon Wochen vor dem Marktstart schickten die Verantwortlichen sogenannte „Blaue“ durch die Aschaffenburger Innenstadt. Das waren Personen in einem blauen Ganzkörperanzug mit dem Schriftzug „Das neue A“, die sich bei diversen Veranstaltungen unter das Volk mischten und somit vorab Aufmerksamkeit und Neugier erzeugten. Hinzu kamen Guerilla-Aktionen, bei denen der Link zur Microsite der Aktion über Nacht auf Bürgersteige und Straßen gebrandet wurde.

Streetbranding als Teil einer integrierten Kampagne, © Autohaus Kunzmann

Streetbranding als Teil einer integrierten Kampagne, © Autohaus Kunzmann

Auf der begleitenden Facebook-Seite und der Microsite www.das-neue-a.de wurde die potenzielle Zielgruppe selbst zur Teilnahme aufgerufen und somit in die Aktion involviert. Unter allen Mitmachenden verlosten die Organisatoren eine neue A-Klasse zur kostenfreien Nutzung für drei Jahre. Das Finale der Aktion bestand in einer großen Party im Autohaus Kunzmann mit bekannten Testimonials wie Patrice Bouédibéla und Romina Becks5.

Viel riskiert – viel gewonnen

Diese Beispiele machen deutlich, dass es möglich ist, mit dem geschickten Einsatz Mobilen Marketings und durchdachter integrierter Kampagnen eine komplett neue Zielgruppe zu erschließen. Insbesondere auf dem volatilen Automobilmarkt wird diese Fähigkeit immer wichtiger, da sich in den letzten Jahren das Konsumverhalten vieler Käuferschichten verändert hat. Mercedes-Benz hat mit der Überarbeitung seiner A-Klasse viel riskiert, aber dabei alles richtig gemacht. Das beweisen auch die Zahlen. So wurde das neue Modell bereits vor der Markteinführung in Deutschland über 40.000 Mal vorbestellt6. Daimler-Boss Zetsche bezeichnet die Einführung der neuen A-Klasse sogar als erfolgreichste in der Geschichte des Konzerns7. Auch unabhängige Stimmen sprechen Daimler hier den Erfolg nicht ab. So ist sich Frank Härtl, Division Manager Automotive Research bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), sicher, dass die neue A-Klasse sogar insgesamt das Image der Marke Mercedes-Benz verjüngt hat 8.

Schreibe einen Kommentar