Wechselstuben und Testballons

1.) Und wieder ist jemand gewechselt „auf die andere Seite“ (der Medaille), in diesem Falle von der Journalistin zur stellvertretenden Regierungssprecherin, wie Vizekanzler und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel verkündete (http://www.xing-news.com/reader/news/articles/292677?link_position=digest&newsletter_id=13388&xng_share_origin=email, Aufruf am 31.5.2016, 18.48 Uhr). Ulrike Demmer war nach Jura-Studium unter anderem für ZDF, Spiegel und Focus tätig. Zuletzt leitete sie das Hauptstadtbüro des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) der Mediengruppe Madsack. Gabriel erklärte: „Mit Ulrike Demmer wird eine erfahrene, vielfach preisgekrönte und hervorragend vernetzte Journalistin neue stellvertretende Regierungssprecherin.“ Das meint der Politiker sicher nicht ironisch. Und er hat gewiss, wie Angela Merkel mit Steffen Seibert, aus Sicht der herrschenden Politik alles richtig gemacht mit dieser Wahl.

Magnet Auftragskommunikation

Nein, es ist kein Neid auf solchen Karriereschritt, wenn man auf strukturelle Probleme der Verhältnisse zwischen Journalismus und Auftragskommunikation hierzulande hinweist: Formulieren wir es dezent am (leider eher seltenen) positiven Beispiel: Marietta Slomka wird in diesem Leben sicher nicht mehr Sprecherin von Sigmar Gabriel – einfach, weil sie in Interviews mit ihm schon einige Male ziemlich gut ihren Job gemacht hat – als Journalistin. Also distanziert und auch kritisch, manchmal sogar investigativ-nachbohrend. Damit ist mensch freilich nicht zum Pressesprecher geboren …

Zeitung für Deutschland und Alternative für Deutschland

2.) Alexander Gauland ist seit Jahrzehnten bundesdeutscher Polit- und Medienprofi, und er kommt (oder kam doch) in vieler Hinsicht ziemlich direkt aus der Mitte dieser Gesellschaft (CDU Hessen, Leiter der Staatskanzlei in Wiesbaden, Zeitungsherausgeberschaft etc.). Deswegen ist auch sein jüngster „Fall“ mit ihm zugeschriebenen abwertenden Äußerungen über den Fußballer und Bundesbürger Jérome Boateng lehrreich. Die FAS schreibt: „Gauland sagte dieser Zeitung: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.““ (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-vize-gauland-beleidigt-jerome-boateng-14257743.html, Aufruf am 1.6.2016, 21.06 Uhr; vgl. http://www.tagesschau.de/inland/gauland-presse-regeln-101.html; Aufruf am 1.6.2016, 21.43 Uhr). Er habe in der vorigen Woche ein „als vertraulich klassifiziertes Hintergrundgespräch“ mit den beiden FAS-Redakteuren geführt, schrieb Gauland laut „tagesschau“ in einer Rundmail an seine Parteifreunde. Der AfD-Vize rede dann vom „Bruch aller Regeln“ seitens der Zeitung, durch den der Partei ein Schaden entstanden sei. Er habe rechtliche Schritte gegen die „FAS“ angekündigt, um eine Unterlassungserklärung der Zeitung zu erwirken.

Vertraulichkeit und Tatsächlichkeit

Zwei Aspekte aus dem Pressekodex sind interessant: Laut Ziffer 5 ist „die vereinbarte Vertraulichkeit grundsätzlich zu wahren“. Und gemäß Richtlinie 2.4.(Sorgfalt – Interview) gilt: „Ein Wortlautinterview ist auf jeden Fall journalistisch korrekt, wenn es das Gesagte richtig wiedergibt.“ Beides wird absehbar eine Glaubensfrage bleiben – war komplett ein Hintergrundgespräch „unter 3“ vereinbart? Also entsprechend dem Brauch vor allem vieler Berliner „Hauptstadtjournalisten“ (Bundespressekonferenz) nur zur vertraulichen Information? Und was ist tatsächlich gesagt worden? Dass einer von beiden Seiten oder gar beiden Parteien einfach handwerkliche Fehler unterlaufen sind, halte ich für wenig wahrscheinlich. Beide Seiten dürften auch hier vor allem strategisch agiert haben – wozu Testballons und Provokationen in Zeiten umkämpfterer Ressourcen und daher dünnerer Luft gewiss zählen.

„Boateng-Äußerung“?

3.) Zum sprachkritischen „Kaleidoskop“: n-tv schlagzeilte am 31.5.2016 um 13.16 Uhr: „Weiter Wirbel um Boateng-Äußerung“. Das ist ähnlich schief formuliert wie ihrerzeit die scheinbaren „Döner-Morde“. Damals haben keine Döner gemordet, und heute ist keine Äußerung gemeint, die Jérome Boateng getätigt hätte. Warum schreibt man nicht „Gauland-Äußerung“? Das erscheint mir deutlich präziser als die gesendete Version.

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