1.) „Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material“, so heißt es in Ziffer 7.2. des Pressekodex, also der moralisch-ethischen Orientierung im Sinne der freiwilligen Selbstkontrolle hiesiger Print- und Onlinemedien (vgl. http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_7____trennung_von_werbung_und_redaktion.; Aufruf am 24.5.2016, 13.23 Uhr). In den „Potsdamer Neuesten Nachrichten am Sonntag“ (22.5.2016), einem Tagessspiegel-Ableger aus dem Verlagshaus Holtzbrinck, finden sich zwei Beiträge (zum selben Thema und vom selben Autor), die jene Orientierung kaum zu beachten scheinen: Hier der Aufmacher auf Seite 1:
Die Überschrift „Millionenrisiko für Mitte“ erscheint als Tatsache, ohne Quellenangabe und so unbestreitbar wie eine Aussage á la „Deutschland liegt in Europa“. Die Quelle wird erst in der Mitte des Kurzberichtes erwähnt – es sei die Stadtverwaltung Potsdam, als Antwort auf eine Anfrage der herrschenden Mehrheit im Stadtparlament. Diese beiden Akteure zählen zu einer „Partei“ im tiefgehenden Streit in Potsdam, ob das Stadtbild entweder möglichst historisierend ähnlich der Preußenzeit entwickelt werden soll, oder aber anders (der Transparenz wegen: Ich teile die zweite Position). Dieser Konflikt dürfte die Stadt und die Öffentlichkeiten ziemlich genau in zwei Lager teilen. Leider kommt die andere „Partei“ weder hier im – dadurch schon sehr einseitigen – Aufmacher vor, noch im zweiten Artikel, diesmal auf Seite 3 des Blattes:
Noch klarer als der erste Artikel erscheint dieser Bericht als kaum gefilterter PR-Text der Befürworter einer Entwicklung „dem alten Stadtgrundriss nachempfunden“. Während das laufende Bürgerbegehren diffamiert wird als ein „Millionenrisiko für Mitte“ bedeutend, gibt es für die Macht-Partei und deren Bau-Manager Streicheleinheiten in Form der super-netten Überschrift „Kekse für die Mitte“. Auch Service-Tipps in deren Sinne werden geliefert – aber hier ebenso wie im ersten Beitrag kein Wort von anderen Sichtweisen. Beide Texte dürften fast 1:1 auf PR-Maßnahmen oder sogar direkte PR-Texte der in Potsdam mittlerweile machtvollen Preußen-Anhänger in Parlamentsmehrheit und angeschlossener Verwaltung zurückgehen. Aber möglichst unabhängige „Berichterstattung“, also Journalismus, sollte weniger einseitig sein, oder doch zumindest mit frühzeitiger sowie klarer Quellenangabe. Die Überschrift wäre noch immer tendenziös, aber schon professioneller, wenn sie dank Quellenangabe lautete: „Verwaltung: Millionrisiko für Mitte“.
„Besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material“ sieht anders aus. Es sei denn, es ginge um „Hofberichterstattung“.
Die unwahrscheinlichste Verschwörungstheorie
2.) Auch mein sprachkritisches Kaleidoskop bewegt sich heute im Problemfeld der Unterscheidungen zwischen Journalismus und Auftragskommunikation, hier vor allem PR: In der MAZ Potsdam (aus dem Verlag Madsack), der anderen Tageszeitung in der Landeshauptstadt, hieß es am 8.4. auf Seite 3 zum Thema „NSU“: „Der letzte von insgesamt 15 Überfällen endete am 4.November 2011 in Eisenach mit dem Tod von Mundlos und Böhnhardt. Nach ihrer Enttarnung erschossen sie sich in einem Wohnmobil“. Man braucht nicht das spannende Buch „Die schützende Hand“ von Wolfgang Schorlau gelesen zu haben, um einfach professionell journalistisch zu texten: Dass sich die beiden „Uwes“ innerhalb ganz weniger Sekunden weg vom Schießen auf einen Polizisten hin zu Selbstötung und Brandstiftung im Wohnmobil nicht nur entschlossen, sondern das auch flugs noch durchgezogen haben sollen, gilt klugen Zeitgenossen als die ( je nach Lesart) lustigste oder doch unwahrscheinlichste Verschwörungstheorie. Da Journalisten aber in der Regel nicht die PR-Schreiber von Polizei oder Geheimdiensten sein sollten, könnte man an solchen Stellen formulieren: „Nach ihrer Enttarnung sollen sie sich erschossen haben.“ Oder auch: „Nach ihrer Enttarnung haben sie sich laut offiziellen Angaben erschossen.“ Das hieße jeweils NICHT, dass der Journalist selbst an andere Versionen glaubt. Es würde einfach, wie es unter anderem Michael Haller zurecht fordert, eine Version als solche kennzeichnen.