Umfragen oder Ansagen? Jedenfalls im Sanders verlaufen …

1.) Offener Brief und Programmbeschwerde an die ZDF-Verantwortlichen

Sehr geehrter Herr ZDF-Fernsehratsvorsitzender Polenz, sehr geehrter Herr Intendant Dr. Bellut,

hiermit möchte ich eine Programmbeschwerde einreichen mit Blick auf Ihre Sendung „Politbarometer“ ausgangs des heute-journals am 13.5.2016, 22.28 Uhr im ZDF. Ich beziehe mich auf § 5, Absatz (1) des aktuellen ZDF-Staatsvertrages, den ich hier als wichtigen Programmgrundsatz verletzt sehe:
„In den Angeboten des ZDF soll ein objektiver
Überblick über das Weltgeschehen, insbesondere ein
umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit vermittelt
werden. Die Angebote sollen eine freie individuelle
und öffentliche Meinungsbildung fördern.“

Sanders ist wählbar

Vorab möchte ich der Transparenz wegen erklären, dass ich Programm und Persönlichkeit von Bernard „Bernie“ Sanders in vieler Hinsicht sehr überzeugend finde und ihn, wenn ich das könnte, sicherlich auch wählen würde.
Zur Sache: Moderator Matthias Fornoff erklärte ausgangs dieser Sendung, bei aller Uneinigkeit seien sich die Deutschen in einer Frage doch fast einig: Wenn sie gefragt werden, wen sie gerne als nächsten US-Präsidenten sähen, dann antworteten 90 Prozent von ihnen „Hillary Clinton“, „magere“ drei Prozent „Donald Trump“. Zu sehen war dann, dass als dritte Antwortmöglichkeit vorgegeben war: „weiß nicht“, was sieben Prozent angekreuzt hätten. „Das ist mal deutlich“, sagte Forndran.
Für mich ist das vor allem ein deutliches Beispiel, wie Medien Wirklichkeit übervereinfachend (re-)konstruieren. Wieso wird die einfache und letzte weitere Möglichkeit, die es derzeit tatsächlich (noch) gibt, nämlich „Bernie“ Sanders, nicht einmal erwähnt? In der aktuellsten vorliegenden US-weiten Umfrage (13.5.2016), in diesem Fall der „Huffingtonpost“ (http://elections.huffingtonpost.com/pollster#2016-general-election; Aufruf am 14.5.2016, 0.30 Uhr), liegt Hillary Clinton gegenüber Donald Trump nur „magere“ sechs Prozentpunkte vorne (44:38), während „Bernie“ Sanders gegen denselben Trump sogar mit 13 Prozentpunkten führt (51:38). Dieser Sanders scheint also kein irrelevantes Randphänomen zu sein, zumindest in der „wirklichen“ Realität. Er hat mit seinem Team bisher als Unabhängiger in 20 Bundesstaaten und bei den „Democrats abroad“ die Vorwahlen der demokratischen Partei gewonnen. Und er sagt, er wolle weitermachen.

Vom Mitdenken und Antworten ausgeschlossen

Wenn ich gefragt worden wäre (ich bin auch schon einmal interviewt worden von der Forschungsgruppe „Wahlen“), dann hätte ich im Rahmen Ihres merkwürdigen Rasters schlicht nicht antworten können, obwohl (oder eben: weil) ich recht genau Bescheid weiß über den laufenden US-Vorwahlkampf und dessen mediale Vermittlungen.
Ich nehme diese scheinbare Kleinigkeit deswegen zum Anlass meiner Programmbeschwerde, weil ich hier wieder und weiterhin wie im Brennglas Aspekte eines durchaus elitären Sendens erkenne, die zu Beschimpfungen wie „Lügenpresse“ zumindest beitragen (mögen). Einerseits zeigt sich hier überdeutlich, dass Umfragen in der Regel genau jene Resultate ergeben, welche die Fragesteller „erwarten“. Auch das strikt empirische Sozialforschen ist nie neutral und beeinflusst, ja bestimmt die Wirklichkeit, die es nur abzubilden behauptet. Aber dennoch wäre Objektivierung (wenn schon nicht Objektivität) bei solchen Fragen doch möglich: Wenn hier im konkreten Beispiel auch der überraschend erfolgreiche, aber nicht-etablierte Kandidat Sanders zum möglichst objektiven Überblick per Perspektivenwechsel hinzukäme, neben den Etablierten (Clinton als etablierte Politikerin, Trump als etablierter Milliardär) und also in Ergänzung zu den in vielen wichtigen, großen Medien durchaus Über-Repräsentierten.

Eliten und Etablierte

Grundsätzlich gesagt, im Aufgreifen von Argumenten des Publizistik-Wissenschaftlers Otfried Jarren (Zürich) (in seinem Aufsatz „Journalismus – unverzichtbar?!“ aus der Fachschzeitschrift „Publizistik“ vom 11.3.2015, S.113-122): Der moderne Journalismus war und ist aus nachvollziehbaren historischen und systematischen Gründen ein ziemlich elitäres Projekt, bezogen auf mächtige wirtschaftliche, politische und kulturelle Tendenzen in den jeweiligen Gesellschaften. Das sollten gerade (wir als) Medienschaffende selbstkritisch erkennen und damit Demokratisierung als ständige Aufgabe begreifen. Anders formuliert: Journalisten sollten ihre Artikulationsfunktion (als oft und offenbar unterschätzter Teil der öffentlichen Aufgabe journalistischer Medien entsprechend den Landespresse- und sonstigen Mediengesetzen) hinsichtlich möglichst vieler sozialer Strömungen besser erfüllen als bisher gewohnt. Das heißt nicht, „Lügenpresse“-Rufern nach dem Munde zu reden – aber das sollte zum Beispiel heißen, wichtige gesellschaftliche Entwicklungen wie das „Feel the Bern“ nicht einfach (ob nun bewusst oder unbewusst) „auszublenden“ (weil den ja hierzulande eh´ keiner kennen würde etc.).
Wir als Journalisten sollten möglichst umfassende und hinreichend differenzierte Angebote machen, die – siehe oben – „eine freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung fördern“. In dem Sinne sind Umfragen wie die hier von mir kritisierte sicher kein Schritt in Richtung von Kommunikation auf Augenhöhe mit den Nutzern. Genau darin aber sieht übrigens Jarren (und nicht nur er) eine der Zukünfte von Journalismus.

Zu wenig Platz zum Mitreden?

PS: Ich musste Ihnen diese Kritik auch als persönliche Mail senden, weil Ihr ZDF-Beschwerdeformular nur maximal 5000 Zeichen zulässt. Vielleicht auch bezeichnend? Eine Schmähkritik mag weniger als 5000 Zeichen umfassen, eine hoffentlich konstruktive Analyse in dem Falle aber mehr. Wie gesagt – womöglich offener sein und auf die Prinzipien Öffentlichkeit und Gleichbehandlung setzen ….

Entspräche das den Erfordernissen?

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Noch ein Beitrag zum Thema „Süperkritisch“: In der MAZ vom 4.4.2016, Seit 11, hieß es im Bericht von Nina May: „Es (das Gedicht von Böhmermann, SeK) entspräche „nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt“, heißt es“.
Schade gerade auf der Medienseite und bei Medienkritik – es muss natürlich in dieser informationsbetonten Form heißen: „entspreche“, also Konjunktiv I der indirekten Rede. „Entspräche“ wäre Konjunktiv II, was als Bewertung im Kommentar etc. viel eher passte (Konjunktiv II – oder eben: passen würde) – aber leider nicht hier, im sachlich sein sollenden Bericht.

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