1.) Die Regionalzeitung MAZ (Märkische Allgemeine Zeitung, Madsack-Konzern Hannover) hat es leider wieder und wieder getan seit dem Bekanntwerden des schweren Verdachtes und des ersten Geständnisses: Sie hat Silvio S. direkt „Mörder“ genannt. (vgl. u.a. http://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Elias/Auf-Elias-Moerder-wartet-eine-Einzelzelle, Aufruf am 4.11.2015, 16.47 Uhr). Die lokale Konkurrenz, die PNN (Potsdamer Neueste Nachrichten), der örtliche Ableger des „Tagesspiegel“ (Holtzbrinck-Konzern Stuttgart), macht es besser und schreibt nicht nur im Kleingedruckten „mutmaßlicher Mörder“ (siehe u.a. http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1021459/, Aufruf am 4.11.2015, 16.52 Uhr).
Und wenn der Mann noch so oft gestehen würde, die Morde an den beiden Jungen begangen zu haben: Es sollte bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gelten. Menschen haben immer wieder Dinge gestanden, die sie dann doch nicht getan hatten. Ab wann also dürfen professionelle Journalisten Menschen wie Silvio S. „Mörder“ nennen?
Laut Pressekodex, Punkt 13, soll für die Zunft gelten: „Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse“. Das ist klar angesagt – und dementsprechend sind vorschnelle und durchaus populistische Formulierungen wie „Mörder“ nicht nur mutmaßlich ganz klar zumindest eines – unprofessionell.
2.) Gleiches Thema, gleiches Medium – nun aber mehr sprach- als medienkritisch betrachtet: „Potsdam Oberbürgermeister Jann Jakobs ist über den Tod von Elias erschüttert“ (http://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Potsdam-plant-Trauerzeremonie-fuer-Elias, Aufruf 1.11.2015, 13.49 Uhr). Auch hier ein Fall von Über-Vereinfachung. Klar: Journalisten sollen Komplexität angemessen reduzieren, in Richtung Verständlichkeit sinnvoll übersetzen. Journalisten sind aber nicht unbedingt Psychologen oder Hirnforscher. Es nicht ihre primäre Aufgabe, anderen Leuten in die Köpfe zu schauen. Deswegen: Wie es im Inneren des Bürgermeisters aussieht, weiß (bestenfalls) der allein. Sein Seelenleben sollte nicht Hauptgegenstand journalistischer Berichterstattung sein. Vorschlag zur besseren Güte: „Jakobs zeigt sich erschüttert“ (das wäre eine intersubjektiv beobachtbare, verifizierbare Tatsache). Oder eben mit Quellenangabe: „Jakobs: Ich bin erschüttert“. Beides ein wenig komplizierter als das Zitat aus der MAZ, aber beides wohl um Längen „richtiger“ als die hier kritisierte Version. Wie gesagt und wie schon Albert Einstein ähnlich formuliert haben soll: Wir sollten alles so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.