1.) Die Debatte um Information und Desinformation in den Medien nimmt merkwürdige Züge an: Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, hatte bereits
Danke an Paul Schreyer und die „Nachdenkseiten“, Aufruf am 14.12.2016, 12.30 Uhr
am 20.11. in einem Gastbeitrag für „Die Welt“ gefordert:
Aufruf am 14.12.2016, 12.32 Uhr
„Wenn das Netz weiter lügt, ist mit Freiheit Schluss“. Man müsse diskutieren, ob die Betreiber von Plattformen wie Facebook nicht nur mehr tun müssten, um das Netz von rechtswidrigen Inhalten frei zu halten, sondern „von Lügen generell gerade in der politischen Debatte.“
Orwell lässt grüßen
In der Union mehren sich nun Forderungen, „Falschmeldungen“ unter Strafe zu stellen. Zuerst hatte der CSU-Politiker Stephan Mayer beklagt, dass es keine rechtliche Grundlage zur Strafverfolgung von Desinformationskampagnen gebe. „Damit müssen wir uns dringend auseinandersetzen und einen entsprechenden Straftatbestand schaffen“, sagte Mayer.
Siehe hier im Tagesspiegel, Aufruf am 14.12.2016, 13.33 Uhr
Ähnlich äußerten sich der Chef des Bundestagsinnenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), und der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg. Der schlug zudem eine Art „Prüfstelle vor, die Propaganda-Seiten aufdeckt und kennzeichnet“.
Paul Schreyer meint dazu kritisch auf den „Nachdenkseiten“ (siehe oben), in dieser Hinsicht sei also klar, dass es einer zentralen Instanz bedürfe, „die in allen Fragen entscheidet, was „Wahrheit“ ist. Da wären wir dann direkt bei George Orwell und dem „Wahrheitsministerium“ aus seinem Roman „1984“.“
Strukturwandel der Öffentlichkeiten
Wenn wir das nicht wollen, bleiben uns meines Erachtens nur öffentliche und transparente Debatten darüber, was jeweils als „wahr“ (oder gut oder schön etc.) gelten soll. Spannend in diesem Zusammenhang sicher der erneute „Strukturwandel von Öffentlichkeit“, wie auch ein sozialwissenschaftlicher Klassiker von Jürgen Habermas aus dem Jahre 1962 heißt. Habermas, mittlerweile 87 Jahre alt, gilt als einer der wichtigsten Philosophen und Sozialwissenschaftler der Gegenwart. Er hat sich in einem Interview in der auch von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ nicht zuletzt über Fragen von Populismus, Politik und Medien geäußert.
Hier zu den „Blättern“, Aufruf 14.12.2016, 13.46 Uhr
Eine Gegenstrategie gegen Rechtspopulisten heiße „Dethematisierung“ der von jenen herbeigeredeten Scheinkonflikte. Diese Dethematisierung gelinge am besten durch Thematisierung des eigentlichen Problems – ich nenne es globalen Sozialabbau und globale Mitweltzerstörung. Habermas fragt ähnlich: „Wie erlangen wir gegenüber den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?“
Demokratische Polarisierung
Zum Thema kann dieses Problem laut Habermas am ehesten durch scharfen und transparenten politischen Streit werden, also in „demokratischer Polarisierung“. Es geht darum, in mittlerweile mindestens gestaffelten Öffentlichkeiten zu debattieren, worin die Krise liegt, statt die Definition der Lage jenen Extremisten (aus) der nationalistisch-wirtschaftsliberalen Mitte wie Trump oder Gauland zu überlassen. Öffentlichkeiten als wettstreitende sind dafür wichtig, weil auch laut Habermas eine „gewisse Anpassungsbereitschaft“ vieler journalistischer Medien dazu führte und führt, dass sich „der Schaumteppich der Merkelschen Politik der Einschläferung“ ausbreitete und ausbreitet. Und er hat sicher nicht unrecht damit, dass Fixierungen auf die AfD zu noch weitergehenden Einebnungen der Vielfalt und damit der Wahlmöglichkeiten zwischen den etablierten Parteien sowie – leider oft im Gleichklang damit – zwischen den etablierten Medien führen dürften.
Zeit für Spekulatius
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop etwas Passendes: US-Radiokorrespondent Martin Ganslmeier, 2012 vom NDR für den ARD-Hörfunk nach Washington entsandt, sagte in seinem Bericht im RBB-Inforadio am 13.12.2016 um 19.12 Uhr: „Wenn sich Wladimir Putin einen US-Außenminister wünschen könnte, würde er sich Rex Tillerson wünschen.“ Das ist bemerkenswert – postfaktisch war anscheinend gestern, heute gilt präfaktisch: Ich wüsste nicht, dass Putin Entsprechendes geäußert hätte. Dennoch wird genau das in diesem informationsbetont sein sollenden Beitrag als Faktum behauptet – natürlich im Konjunktiv II. Aber der rettet hier auch nichts, denn es hätte (sic!) zumindest ein Wort der Distanzierung wie „wahrscheinlich“ oder „vermutlich“ oder „sicherlich“ oder „bestimmt“ oder was auch immer dieser Art in den zweiten Teilsatz hinein gemusst. Und selbst dann handelte es sich noch immer um eine ziemlich meinungsbetonte Äußerung. Es sei denn, „präfaktisch“ (hier vor allem: spekulativ) wäre das neue „sachlich“.