1.) „Alternative Fakten“ ist in Deutschland zum „Unwort“ des Jahres 2017 bestimmt worden (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-01/alternative-fakten-unwort-des-jahres-2017-sprache, Aufruf 16.1.2018, 19.20 Uhr).
Der Ausdruck geht auf Äußerungen von Kellyanne Conway zurück. Damit hatte die Beraterin von Donald Trump die ersichtlich falsche Tatsachenbehauptung bezeichnet, zur Amtseinführung des US-Präsidenten Anfang 2017 seien so viele Feiernde vor Ort in Washington auf der Straße gewesen wie nie zuvor bei entsprechender Gelegenheit. Laut Jury steht der Ausdruck „für die sich ausbreitende Praxis, den Austausch von Argumenten auf Faktenbasis durch nicht belegbare Behauptungen zu ersetzen“. Also für einen, das Paradoxon sei gestattet, „absoluten Relatvismus“, dem scheinbar alles irgendwie gleichermaßen gültig ist. Aber natürlich und naheliegender Weise vor allem das, was in der eigenen „Blase“ ventiliert wird. Was das eigene Weltbild bestätigt und verstärkt.
Wem nutzen Kampagnen gegen „Fake News“?
Aber man sollte bei aller berechtigten Kritik an „Fake News“ und „Alternative Facts“ nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Michael Meyen weist zu Recht darauf hin (Michael Meyen: Fake Debate: Wem „Fake News“ wirklich helfen. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2018. https://medienblog.hypotheses.org/1009, Aufruf 16.1.2018, 19.20 Uhr), dass die Kampagnen gegen „Fake News“ (ähnlich wie das Schlagwort „asoziale Medien“) vor allem denen helfen, die (so oder so, ob nun das Trump-Lager oder die Clinton-Tendenz) an der Macht sind, und ihren „traditionellen Sprachrohren“, heißen sie nun Fox News oder aber New York Times. Das stimmt laut Meyen auch deshalb, weil diese Debatten ablenken von Problemen, über die wir sprechen sollten im Sinne sozialer und ökologischer Demokratisierung. Über die Qualität des Journalismus zum Beispiel, über seine Finanzierung via Werbung und Verkauf, die vieles von dem zumindest nicht erleichtert, was wir von ihm erwarten dürfen (Öffentlichkeit herstellen, die Mächtigen kritisieren und kontrollieren), und nicht zuletzt über die Besitzverhältnisse. Ich halte in dieser Hinsicht für wichtig: Einerseits lassen sich längst auch in den Metropolen des Turbokapitalismus wachsende soziale Spaltungen beobachten. Andererseits (und das mag damit zusammenhängen) kann man den medialen „Mainstream“ als sogar noch homogener beschreiben denn bisher. Aus diesen sich verstärkenden Spannungen scheinen sowohl „von oben“ als auch „von unten“ (leider) eher destruktive Tendenzen zu erwachsen, im Sinne von Autoritarismus und Exklusion. Und dann haben es „Fake News“ oder „Alternative Fakten“ relativ leicht, zumindest große Reichweiten zu erzielen.
Fake News als bewährte Profit-Strategie
Christian Fuchs (Westminster University London) erklärt, inwiefern Fake News als Gefahr für Demokratisierung gesehen werden können (https://camri.ac.uk/blog/Articles/fake-news-not-just-word-year-danger-democracy-can-overcome-adequate-legal-media-reforms/, Aufruf 17.1.2018, 15.18 Uhr). Sie sind zunächst nichts Neues, wie die Serie der Boulevardzeitung „New York Sun“ aus dem Jahre 1835 zeigt, in der sehr massenwirksam von einer vermeintlichen Entdeckung menschlichen und tierischen Lebens auf dem Mond geschrieben wird („The Great Moon Hoax“). „Fakes News“ waren und sind Fuchs zufolge vor allem eine spezielle Profit-Strategie. Relativ neu aber seien nun die Herstellungs- und Verteilungswege: Weniger in und aus tradierten Medien, zunehmend in und aus und für Netzumgebungen, vor allem im Kontext bestimmter Plattformen („Social Media“). Dort ist vieles möglich:
Fuchs verweist auf das Online-Software-Werkzeug „Twitter Audit“, demzufolge von den rund 43 Millionen Followern Donald Trumps auf Twitter rund 45 Prozent „fake accounts“ seien.
Alternativen zur Fake-News-Kultur
Sich mit diesen gewiss nicht neuen, aber neuerdings aus dem Netz heraus ziemlich reichweitenstarken Phänomenen auseinanderzusetzen, das sollte allerdings weder alleinige Aufgabe von Staat und Gesetz noch von Konzern und Algorithmus sein, sondern im Sinne sozialer und ökologischer Demokratisierung eine Daueraufgabe für gestaffelte Öffentlichkeiten mit aktiven Nutzern auf allen Ebenen. Dabei hätten auch Intermediäre wie Google und Facebook ihre Beiträge zum Zustandekommen solch vielfältiger Öffentlichkeiten zu leisten, indem sie Menschen dafür angemessen bezahlen, dass diese professionell Inhalte auf den großen Plattformen kuratieren bzw. die entsprechenden Debatten moderieren. Christian Fuchs weist zu Recht darauf hin, dass intermediäre Konzerne gemäß ihrer betriebswirtschaftlichen Rationalität Automatisierung und „Big Data“ über menschliche Praxis stellen, man aber möglichst viele Menschen weit mehr einbeziehen solle, um nicht „profits over democracy“ (noch mehr) zu etablieren. Fuchs zufolge mag gerade hier hier im Zusammenspiel zwischen Journalisten und Nutzern Neues entstehen: Gesetze sollten Medienkonzerne weltweit zwingen, zum Beispiel Journalisten als angemessen bezahlte „Fact-Checker“ zu beschäftigen. Wenn dann entsprechend viele oder auch qualifizierte Nutzer eine bestimmte Interaktion auslösen, dann könnte weit besser als bisher „demokratisch“ (und nicht gewinn- oder machtorientiert) mit-bestimmt werden, was angemessen sei und was nicht.
Öffentliche oder öffentlich-rechtliche Internetplattformen (wie Club 2.0) erscheinen dabei als sinnvolle Alternative zu Intermediären: Sie sollten möglichst werbefrei und entschleunigt sein, um damit politische Debatten und Demokratisierungen auf neue Weise zu ermöglichen.
Wer ist hier (nicht) ganz sauber?
2.) Zur Sprach- und Stilkritik: Geht es um „Alternative Fakten“, wenn tagesschau.de am 10.Januar schreibt: „Der Diesel kann auch sauber“?
Der Beitrag Hier geht es auf die Seite tagesschau.de ist allein von der Themensetzung her sehr fragwürdig, weil nicht deutlich wird, wie die Studie an der Hochschule zustande gekommen ist. Oft stehen hinter solchen Studien Auftraggeber mit bestimmten Interessen. Eher unwahrscheinlich zum Beispiel, dass die HTW Saar sich extra dafür den getesteten BMW 520d gekauft hat – die unverbindliche Preisempfehlung liegt bei 48.600 Euro. Insgesamt hat der Beitrag meines Erachtens eine klare PR-, wenn nicht sogar Werbe-Tendenz in Richtung „Pro Auto“ und nicht zuletzt „Pro Diesel“. Die Überschrift ist „sauber“ formuliert: Das Wort „sauber“ müsste doch zumindest in Anführungszeichen stehen. Oder eben in Form des Komparativs, also „sauberer“. Oder passender: „etwas weniger dreckig“.
Ich hatte genau das per Mail an Dr. Kai Gniffke geschrieben, den Leiter der Redaktion ARD-aktuell in Hamburg. Mein Schluss-Satz lautete: „Insgesamt stimmt mich dieser Beitrag sehr nachdenklich. Ich bitte um Ihr Feedback, weil es ja um Journalismus im Sinne von Öffentlichkeit und Gemeinwohlbezug geht, gerade im Bereich der öffentlich-rechtlichen Anstalten.“ Leider kam dieses Mal nur eine automatische, also nichtssagende Antwort.
Wenn allerdings am selben Tag im Teletext des ARD-Ersten um 22.50 Uhr auf Tafel 107 die Überschrift sauber getextet lautet: „Union und SPD für saubere Autos“, dann dürfen wir begründet wünschen: Gute Fahrt in Richtung Auftragskommunikation (natürlich, ohne direkten Auftraggeber, wir wissen es), wie von selbst für Regierung und (im dem Falle: deutsche Auto-)Konzerne. Oder wie man es vielleicht „am saubersten“ formulieren würde: „Mit Voll-Gas in die ganz, ganz große Koalition.“